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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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damals Richter an einer Zivilkammer, hatte ein paar Monate
lang der aufständischen assemblea angehört. Nach
der Niederschlagung des Aufstands hatte man ihn entlassen und erst
Mitte der fünfziger Jahre wieder in den Staatsdienst
aufgenommen - zuerst als Ispettore, doch dann war er schnell zum
Commissario befördert worden.
    Und nun? Ging jetzt
nach einem halben Jahrhundert eine Epoche zu Ende? Würde auch
das Veneto Teil des jungen italienischen Königreichs werden?
Ja, das war mehr als wahrscheinlich. Tron, darüber
nachsinnend, stellte wieder einmal fest, dass ihn der Gedanke daran
nicht in Euphorie versetzte. Ob die Venezianer wussten, was auf sie
zukam? Eine rigide Turiner Ordnung, die ihnen noch weniger Luft zum
Atmen lassen würde als die Herrschaft Wiens? Auch wenn sich
die Venezianer Bürger Italiens nennen durften? Tron hatte da
seine Zweifel. Nun, die Zukunft würde es zeigen.
    Punkt elf Uhr - ein
Oberleutnant der Kaiserjäger und seine Frau warteten bereits
auf seinen Tisch - erhob Tron sich von seinem Platz, ließ wie
immer ein großzügiges Trinkgeld zurück und trat aus
dem Florian. Er überquerte Piazza und Piazzetta, dann
schlenderte er langsam am Danieli vorbei, die Riva degli Schiavoni
hinunter in Richtung Questura. Normalerweise lagen hier, Bug an
Bug, Lastsegler, Holztransporter aus Dalmatien, Kanonenboote der
kaiserlichen Marine und Raddampfer des Österreichischen Lloyd.
Die meisten waren noch rechtzeitig evakuiert worden. Diejenigen
Schiffe aber, deren Besitzer die Eiseskälte unterschätzt
oder es nicht mehr geschafft hatten, auf das offene Meer zu
entkommen, hatte der scharfe Frost mit einem Panzer aus Eis
umgeben, und die Schneefälle hatten sie in bizarre Skulpturen
verwandelt. Zwei dalmatinische Lastsegler hatte das Eis bis weit
über die Schattenlinie nach oben gehoben. Bei einem der
Schiffe war der Bug geborsten, und Tron konnte ins Innere der
Laderäume blicken. Ein paar hölzerne Fässer und
Kisten waren zu sehen, alle mit einer dicken Eisschicht bedeckt und
wahrscheinlich kaum abzulösen, andernfalls wäre das Holz,
dachte Tron, schon lange in einem venezianischen Ofen verschwunden.
Als er den Campo San Lorenzo betrat, an dem die venezianische
Questura lag, war es kurz vor halb eins. Ob der
Polizeipräsident schon in seinem Büro war? Nein, das war
erfahrungsgemäß auszuschließen. Spaur pflegte die
Questura grundsätzlich nie vor dem Lunch zu
betreten.
    *
    Die erste
Überraschung bestand darin, dass der wachhabende Sergente Tron
am Eingang mitteilte, der Polizeipräsident sei bereits im
Hause und wünsche ihn sofort in seinem Büro zu sehen. Die
zweite Überraschung bestand in Spaur selber. Anstelle der
üblichen Schachtel mit Demel-Konfekt und den zerknüllten
Einwickelpapierchen der Pralines bedeckten Aktenstapel Spaurs
Schreibtisch, sorgfältig parallel zur Tischkante ausgerichtet
und - soweit Tron es von der Tür aus erkennen konnte -
durchgearbeitet und mit Anmerkungen versehen. Spaur hielt einen
Federhalter in der Hand, neben den Akten stand ein geöffnetes
Tintenfass. Auf der Nase trug er einen randlosen Kneifer. Offenbar
hatte er seine Drohung, sich persönlich um den Fall zu
kümmern, in die Tat umgesetzt.
    Tron, der nicht
wusste, was er von alledem halten sollte, sagte: «Wir hatten
Sie nicht vor dem Mittagessen in der Questura erwartet, Herr
Baron.»
    «Ich glaube
nicht», entgegnete Spaur scharf, «dass wir es uns unter
diesen Umständen erlauben können, die Questura erst nach
dem Lunch zu betreten.» Er bohrte seinen Federhalter in die
Luft, sodass Tron unwillkürlich zurückwich. «Nehmen
Sie Platz.»
    «Haben Sie
unseren Bericht gelesen?»
    «Ich habe die
letzten zwei Stunden darüber nachgedacht», sagte Spaur.
«Flyte, schreiben Sie, hatte ein überzeugendes Motiv, er
hatte die Gelegenheit, seinen Onkel zu töten, und nicht die
Spur eines Alibis für den Zeitraum der Tat.»
    Tron nickte. «So
ist es.»
    «Spaur nahm
seinen Kneifer von der Nase. «Halten Sie diesen Flyte
für intelligent?»
    «Ich halte ihn
für sehr intelligent.»
    «Und meinen Sie
also nicht», fuhr Spaur fort, «dass Dr. Flyte in einer
Konstellation, in der unser Verdacht sofort auf ihn fallen muss,
überhaupt daran denken würde, seinen Onkel zu töten?
Passt das zu einem intelligenten Menschen?»
    «Eigentlich
nicht», musste Tron zugeben.
    «Dann frage ich
mich», fuhr Spaur fort, «wie Sie darauf kommen konnten,
dass es Flyte war, der auf Marchmain geschossen hat. Zumal diese
Holly Parker

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