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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Kompromiss
auszuhandeln. Nur dass der junge Fürst zu einem Kompromiss
nicht zu bewegen war. Man kann vielleicht nicht sagen, dass der
heiligen Kirche in dieser Lage der Himmel zu Hilfe eilte, aber vom
Resultat her macht es keinen Unterschied. Es könnte auch ein
glücklicher Zufall gewesen sein.» «Der Baron
erlitt einen Unfall?»
    «Er wurde
erschossen. Unter nie ganz geklärten Umständen. Mit einer
kleinkalibrigen Waffe. Übrigens in einem Bordell. Nur die
Zeitungen schrieben von einem Weinhaus.»
    «Und was hat
Contarini damit zu tun?»
    Spaur lächelte
zynisch. «Contarini ist in derselben Nacht in diesem Bordell
gesehen worden. In Zivil.»
    «Sind die
Behörden dem nachgegangen?»
    «Man hat die
Spur ignoriert», sagte Spaur. «Vielleicht, weil es
opportun war, die Spur zu ignorieren. Der Fall ist dann nach einem
halben Jahr zu den Akten gelegt worden.»
    «Was folgt aus
alledem?»
    «Ich will, dass
Sie feststellen, ob Contarini für den Mord an Petrelli ein
Alibi hat», sagte Spaur. «Und dann will ich wissen, wo
er sich aufgehalten hat, als auf Mr. Flyte gefeuert wurde. Und wo
er gewesen ist, als Marchmain erschossen wurde.»
    «Und wenn wir
Beweise gegen Contarini haben? Ein Monsignore hatte den Status
eines Diplomaten. Und Diplomaten verhaftet man
nicht.»
    «Wir
könnten entsprechende Artikel in der Gazetta di Venezia lancieren»,
sagte Spaur. «Das würde nicht verhindern, dass Contarini
straffrei ausgeht, aber der Vatikan wäre massiv düpiert.
Und deshalb sollten wir Contarini ein Angebot machen. Er darf sich
geräuschlos aus Venedig entfernen, und die
Heiratsangelegenheit kommt vom Tisch. Reden Sie mit ihm. Noch
heute.»
    «Lodron ist im
Bilde?»
    Spaur nickte.
«Ihm verdanke ich die Kenntnis der Vorgeschichte
Contarinis.»
    «Und die
Tagebücher, die Lodron unbedingt sehen will?»
    «Flyte hat allen
Grund, uns dankbar zu sein», sagte Spaur. «Wir haben
den Mann identifiziert, der Petrelli ermordet und versucht hat,
Flyte zu töten. Er wird kooperieren.»

39
    Eigentlich hätte
Tron, der Commissario von San Marco, in Venedig geboren und
aufgewachsen, die Stadt wie seine eigene Westentasche kennen
müssen. Eigentlich - denn in letzter Zeit
war es öfter vorgekommen, dass ihm das venezianische Stadtbild
nicht mehr ganz präsent zu sein schien und er auch Fremden
falsche Auskünfte gab. Das war einigermaßen irritierend
- nicht nur für die Fremden, sondern auch für ihn selber.
Dass seine Aussetzer einem Muster folgten, war Tron aufgegangen,
als er eines Tages überrascht war, am oberen Ende des
Canalazzo auf einen Bahnhof zu treffen. Ähnlich erging es ihm
beim Anblick des Gasmeilers auf der anderen Seite der Stadt, dessen
Existenz er jedes Mal mit Erstaunen zu Kenntnis nahm, was albern
war, denn ebenso wie der Bahnhof stand der Meiler schon länger
als zwanzig Jahre an seinem Platz. Tron fragte sich hin und wieder,
wie es wohl den Einwohnern von Paris ergehen mochte, deren Stadt
sich in den letzten beiden Jahrzehnten radikal verändert
hatte. Er dachte an Baudelaire    
    (Charles nannte ihn die
Principessa, die mit ihm in Paris verkehrt hatte) und seine Trauer
über das Verschwinden des alten Paris. Aber er, Tron, lebte in
Venedig - in einer Stadt, die sich im Grunde kaum verändert
hatte. Das alles war so lächerlich, dass er sich hütete,
darüber zu sprechen - schon gar nicht mit der Principessa, die
ihn für hoffnungslos altmodisch hielt und selber jede neue
Eisenbahnstrecke, jede neue Gas- und jede neue Telegraphenleitung
enthusiastisch begrüßte.
    Tron verließ
Spaurs Büro kurz nach halb zwei, um zum Seminario Patriarchale
zu laufen, in dem Contarini sein Quartier bezogen hatte. Der Himmel
über der Stadt sah aus wie tags zuvor, eine dunkles Grau,
über das hin und wieder ein paar träge Möwen flogen.
Am Molo stieg er auf das Eis hinab, von dort war es noch ein
Fußweg von höchstens zehn Minuten bis zum Campo della
Caritá, an dem das Seminario
lag.      
    Es schlug zwei von der
Salute her, als Tron den Canalazzo verließ und die paar
Stufen zum Campo della Caritá emporstieg. Das Seminario
Patriarchale, Trons alte Schule, stand am Fuß einer
gusseisernen Brücke, die San Marco mit dem Dorsoduro verband.
Kaiserliche Militäringenieure hatten diese Brücke in den
dreißiger Jahren an der Stelle gebaut, wo jahrhundertelang
eine Fähre den Canal Grande überquert hatte. Die
Brücke war praktisch, aber Tron fand, dass sie das Stadtbild
störte. Außerdem hatte er nie ein Problem damit

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