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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Fenster stand ein Bett, daneben
eine dreischübige Kommode und neben der Kommode ein Stuhl. Es
gab keine Vorhänge, keinen Teppich und keinen Ofen. Die
Fensterscheiben waren voller Eisblumen.
    «Haben Sie jetzt
alles gesehen, was Sie sehen wollten, Commissario?» Holly
Parker stand vor ihrem Bett und sah Tron feindselig an.
    «Mich
interessiert hauptsächlich Ihre Kommode», sagte Tron. Er
hatte befriedigt registriert, dass die Schubladen keine
Schlösser hatten, sondern lediglich runde Knöpfe auf der
Vorderseite.
    Holly Parker hob die
Augenbrauen. «Meine Kommode?»
    «Allerdings»,
bekräftigte Tron. «Ich hatte heute Mittag auf der
Questura ein Gespräch mit Signorina Bianchi.»
    Holly Parkers Kinn
fuhr ruckartig hoch. «Signorina Bianchi? Ich musste sie
leider entlassen. Sie hat in meinen Sachen
herumgeschnüffelt.»
    «Ich
weiß», sagte Tron. «Sie war heute in der
Questura, um mir zu sagen, was sie dabei entdeckt hat.» Er
lächelte freundlich. «Signorina
Parker, kann es sein, dass Sie doch im Besitz einer Waffe sind und
Sie diese Waffe in dieser Kommode aufbewahren?»
    Holly Parker
stieß einen Laut aus, der wohl ein amüsiertes Lachen
sein sollte. «Ich soll eine Waffe besitzen?»
    Tron nickte.
«Eine Derringer, die Sonnabend nicht an ihrem Platz war und
die Sie erst am Sonntag zurückgelegt haben.»
    Holly Parker
schüttelte heftig den Kopf. «Das ist
Dienstbotenklatsch.»
    Sie stand immer noch
vor ihrem Bett, aber Tron sah jetzt, wie sie den rechten Fuß
anhob und nach vorne setzte. Dabei drehte sie ihren Körper
langsam dorthin, wo die Kommode stand. Sie atmete tief
ein.
    Es blieb unklar, ob
Tron ihr zuvorkam und was sie getan hätte, wenn er ihr nicht
zuvorgekommen wäre. Tron bückte sich, zog die unterste
Schublade mit einem Ruck heraus, griff auf gut Glück in
die biancheria intima und hatte die Waffe
sofort in der Hand. Es war eine zweischüssige Derringer mit
ziselierten Läufen und einem Griff aus Perlmutt, der jetzt im
schräg einfallenden Tageslicht schimmerte. Signorina Bianchi
hatte recht gehabt. Außerdem war die Waffe
geladen.
    Holly Parker war auf
das Bett gesunken, vor dem sie gestanden hatte. Jetzt saß sie
auf der Bettkante und starrte Tron fassungslos an.
    Tron, der sich auf
einmal billig vorkam, sagte: «Sie geben also zu, dass diese
Waffe Ihnen gehört, Signorina Parker?»
    Holly Parker nickte.
«Ja, sie gehört mir.»
    «Und dass Sie
die Waffe am Sonnabend aus der Schublade genommen
haben?»
    Sie nickte ein zweites
Mal. «Auch das gebe ich zu.»
    «Und geben Sie
auch zu, dass Sie Mr. Marchmain in der Cantina erschossen
haben?»
    Tron sah, wie sie zu
antworten versuchte, es aber nur schaffte, die Lippen zu
öffnen und wieder zu schließen. Endlich sagte sie:
«Ich habe Mr. Marchmain nicht erschossen. Ich habe die Waffe
jemandem gegeben, der mich darum gebeten hat, weil er sich
schützen wollte.»

37
    Als Tron eine Stunde
später den Flur im zweiten Stock der Questura betrat,
öffnete sich die Tür seines Büros, und die Sergenti
Kranzier und Sarazzo kamen heraus. Sarazzo hatte ein blaues Augen
und Kranzier eine blutigen Schramme auf der Stirn. Beide machten
den Mund auf, und einen Augenblick lang dachte Tron, dass sie ihn
ansprechen würden. Dann beschränkten sie sich aber
darauf, ihn vorschriftsmäßig zu
grüßen.
    «Kranzier und
Sarazzo hatten Streit», erklärte Bossi, der auf Tron
gewartet hatte. «Eine politische Sache. Sarazzo hat den
Kaiser eine Pfeife genannt. In Gegenwart von
Kranzier.»
    Tron unterdrückte
ein Lachen. «Wörtlich?»
    «Wörtlich»,
bestätigte Bossi.
    Sergente Kranzier
saß im Vorzimmer des Polizeipräsidenten, und jeder, der
zu Spaur wollte, musste an ihm vorbei. Er war der einzige
österreichische Beamte in der Questura, ein gemütlicher
Mann mit einem Backenbart á la Franz Joseph, dem er eine
religiöse Verehrung entgegenbrachte. Da der Sergente von den
persönlichen Beziehungen zwischen Tron und der Kaiserin
wusste, behandelte er Tron mit einer gewissen Ehrfurcht.
    «Es fing alles
damit an, dass er geklaut hat», fuhr Bossi fort.
    «Wer?
Kranzier?»
    «Sarazzo»,
sagte Bossi. «Er hat einen Korb Brennholz aus dem Büro
von Spaur mitgehen lassen.»
    «Wenn Sarazzo in
Spaurs Büro will, muss er durch das Vorzimmer. Und da sitzt
Kranzier.»
    «Spaurs Tür
zum Flur war nicht abgeschlossen, und Sarazzo scheint das gewusst
zu haben», sagte Bossi. «Kranzier hat Geräusche
aus Spaurs Büro gehört und dann noch gesehen, wie jemand
mit einem Korb Brennholz

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