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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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gutes Dutzend
Sekretäre von ihrem Schreibtisch aus tyrannisierte. Dies alles
tat sie wie üblich in einem grauen Promenadenkleid, kaum
geschminkt und mit straff zurückgekämmten Haaren - ein
vergeblicher Versuch, die Tatsache zu verstecken, dass sie zu den
schönsten Frauen Venedigs
zählte.    
    Tron richtete seinen
Oberkörper auf und verharrte ein paar Minuten mit
halbgeschlossenen Augen in dieser Position. Dann erhob er sich
immer noch schlaftrunken, zog seinen seidenen Morgenmantel
über den Schlafanzug und ließ sich in einen der beiden
Sessel fallen, die am Fenster standen. Schließlich
betätigte er den Klingelzug an der Wand. Als Moussada, einer
der beiden jungen äthiopischen Diener der Principessa, das
Zimmer betrat, bestellte er einen starken Mokka und eine
große Tasse Schokolade - sein Frühstück vor dem
eigentlichen Frühstück, das er normalerweise später
im Café Florian an der Piazza einnahm. Bald erschien
Massouda mit dem Mokka und der dampfenden Schokolade, die er
schweigend auf das Tischchen neben dem Sessel stellte, um sich dann
mit wiegenden Schritten zu entfernen - ein hübscher Anblick,
fand Tron. Wie immer sah er ihm hinterher, bis der junge Diener die
Tür hinter sich geschlossen
hatte.      
    Tron fragte sich
bisweilen, was die Principessa dazu bewogen hatte, zwei junge
äthiopische Kammerdiener zu engagieren, die immer noch ein
groteskes Italienisch sprachen und deren Tätigkeit sich auf
einen relativ kleinen Aufgabenkreis zu beschränken schien: am
Tisch zu bedienen, der Principessa Kaffee zu bereiten, sich um ihre
Garderobe zu kümmern und ... Tja, was noch? Der Principessa in
welcher speziellen Weise aufzuwarten? Ihr aufzuwarten - auch so ein Wort von
unklarer Bedeutung, dachte Tron, das einen gewagten Hintersinn
haben konnte. Und hier wurde das Bild bereits schillernd, denn man
konnte nicht behaupten, dass dieses relativ schmale
Betätigungsfeld zwei Vollzeitstellen erfordert hätte.
Aber, musste Tron zugeben, sie sahen, der eine wie der andere, sehr
gut aus, sehr appétissant. So wie Massouda oder
Moussada, dachte Tron immer noch halb im Schlaf, konnte man sich
den jungen Joseph vorstellen, schmalhüftig, höchstens
zwanzig, mit einem Medaillenprofil, langen Wimpern und einem
makellosen Teint. Aber war die Principessa als Potiphars Gemahlin
denkbar? Als schmachtende Mut-em-enet? Nein, entschied Tron,
höchstens - falls dieser Gedankengang überhaupt einen
Sinn ergab - als eine Frau, die sich das nahm, wozu sie Lust hatte.
    Als er zehn Minuten
später in seinen Mantel schlüpfte und den Zylinderhut
ergriff, musste er an das Gespräch denken, das er gestern
Nachmittag mit Contarini im Seminario Patriarchale geführt
hatte. Im Grunde hatte ihn die Reaktion des Monsignore nicht
überrascht. Es gab keine wirklichen Beweise für
Contarinis Verwicklung in diese Angelegenheit, nur ein paar
spekulative Kombinationen. Contarini war intelligent genug, sich
davon nicht einschüchtern zu lassen. In einem Punkt allerdings
hatte Tron nicht geblufft. Sie waren -er und Spaur -
tatsächlich in der Lage, Contarini zumindest einen Warnschuss
vor die Füße zu feuern: Die Beziehungen zwischen der
Questura und der Gazetta di Venezia waren gut, und
die Gazetta würde, natürlich unter
Beachtung der Zensurvorschriften, genau das drucken, was ihr in
diesem Fall opportun erschien.
    Während Tron auf
dem gestreuten Fußweg in der Mitte des Canalazzo zur Piazza
San Marco lief, formulierte er in seinem Kopf die kurze Notiz, die
morgen in der Gazetta erscheinen würde. Vielleicht
eine halbe Spalte auf der zweiten Seite. Unter der
Überschrift Brutaler Mord im
Fenice käme zuerst eine kurze
Schilderung des Falles, danach ein mehr oder weniger direkter
Hinweis auf die Verwicklung Contarinis. Wie aus unterrichteten Kreisen
bekannt wurde, scheint auch ein Angehöriger der römischen
Kurie in den Fall verwickelt zu sein. Sehr schön, dachte
Tron. Ein
Angehöriger der römischen Kurie -das suggerierte eine Nähe
zum Papst und war eine Formulierung, die Contarini
außerordentlich missfallen dürfte. Es handelt sich
dabei, formulierte Tron weiter, um Monsignore C.,
gegen den bereits diverse Ermittlungsverfahren ... Oder sollte er
lieber schreiben lassen: um den einschlägig
bekannten Monsignore ?
    Die
Redaktionsräume der Gazetta di Venezia lagen direkt an der
Piazza. Tron nahm sich vor, den Text bei einem leckeren Stück
Torte im Florian auszuformulieren und der Redaktion
anschließend einen Besuch

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