Die letzte Mission
ob sie Staatsanwältin werden sollte, aber schon allein bei dem Gedanken an das Jurastudium hätte sie sich am liebsten eine Kugel in den Kopf gejagt. Sportlehrerin an einem College? Vielleicht …
Sie rannte wieder schneller, da sie noch nicht so weit war, Entscheidungen zu treffen, die den Rest ihres Lebens beeinflussen würden. Nach weiteren zehn Minuten hatte sie die Stelle erreicht, an der sie immer umkehrte, und von da an ging es immer nur bergab.
Karen war noch etwa drei Kilometer von ihrem Auto entfernt, als sie um eine scharfe Kurve bog und auf einem Felsen neben dem Weg einen Mann liegen sah. Sie verlor ihren Rhythmus, während sie näher kam und an der Kleidung den Mann erkannte, der hinter ihr hergerannt war.
Er sah aus wie tot.
Schließlich blieb sie kurz vor ihm stehen und starrte auf ihn hinunter. Vielleicht hatte er einen Herzanfall bekommen, als er versuchte hatte, sie einzuholen. Nein. So viel Pech konnte nicht einmal sie haben.
»Sir? Entschuldigen Sie«, sagte sie, während sie zögernd einen Schritt auf ihn zuging. »Alles in Ordnung?«
Sie atmete erleichtert auf, als der Mann den Kopf in ihre Richtung drehte und die Augen aufschlug. »Entweder sind Sie ziemlich schnell, oder ich bin ziemlich langsam geworden.«
»Ich bin ziemlich schnell.«
Er lächelte und starrte wieder in den Himmel, während er etwas murmelte. Sie war sich nicht sicher, aber es klang wie »O wie tief bist du gefallen«.
»Dann ist mit Ihnen alles in Ordnung?«
»Ich kann gut verstehen, warum Sie hier draußen laufen«, erwiderte er. »Man hat das Gefühl, Lichtjahre von allem entfernt zu sein.«
Sie beugte sich ein wenig vor und starrte auf den Teil seines Gesichts, der nicht von seiner Sonnenbrille verdeckt war. Der Mann kam ihr irgendwie bekannt vor. »Schönen Tag noch«, sagte sie schließlich. Dann ging sie zum Weg zurück. »Genießen Sie die Aussicht.«
»Moment. Ich hab noch was für Sie.«
»Wie bitte?«
Er griff nach etwas, das hinter ihm auf dem Felsen lag, und warf es ihr zu. Sie fing es auf. Es war ihre Brieftasche. Als sie den Kopf wieder hob, hatte der Mann seine Sonnenbrille aus dem Gesicht geschoben und starrte sie an. Jetzt, wo sie seine Augen sah, war ihr klar, woher sie ihn kannte.
Adrenalin schoss ihr in die Blutbahn, und sie rannte gut fünf Meter, bevor sie sich umsah. Er hatte sich nicht bewegt. Sie wurde langsamer und ließ sich von ihrem Schwung noch zwei Meter weiter tragen. Dann blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. Er lag einfach nur da und starrte in den Himmel.
Unter normalen Umständen hätte sie bei der Konfrontation mit einem Polizistenmörder versucht, eine Möglichkeit zu finden, ihn festzunehmen. Selbst unbewaffnet sorgten durchtrainierte fünfundsechzig Kilo und ihr brauner Gürtel in Ju-Jutsu dafür, dass sie sich selbst von Männern, die erheblich größer waren als sie, nicht einschüchtern ließ. Aber dies waren keine normalen Umstände. Als sie sich das letzte Mal getroffen hatten, hatte er sie im Handumdrehen überwältigt. Außerdem hatte er vermutlich eine Pistole bei sich, und sie war lediglich mit Nylonshorts, einem T-Shirt und einem Paar Laufschuhen von Adidas bewaffnet.
Blieb Plan B, der darin bestand, loszurennen und die Polizei zu rufen, sobald sie ihren Wagen erreicht hatte. Zu Fuß würde er sie auf keinen Fall einholen. Völlig unmöglich.
Als er sich aufsetzte, wich sie noch einmal zwei Meter zurück. Dann sah sie zu, wie er sich eine Zigarette anzündete.
»Sie sollten aufhören«, sagte sie, als er heftig zu husten begann.
»Aufhören? Ich hab doch gerade erst angefangen.«
Sie blieb, wo sie war, als er die Beine vom Felsen schwang und aufstand.
»Was machen Sie hier, Mr al Fayed? Was wollen Sie?«
Er wies auf die Brieftasche in ihrer Hand.
»Die hätten Sie mir auch mit der Post schicken können.«
Er zuckte mit den Achseln. »Mein Feldzug ist nicht so lustig, wie ich dachte. In letzter Zeit wache ich morgens auf und fühle mich noch müder als am Abend vorher. Ich kann mich kaum an Dinge erinnern, die letzte Woche noch sehr wichtig für mich gewesen sind …«
Jetzt wurde ihr klar, dass ihr erster Eindruck von ihm falsch gewesen war, weil sie Angst vor ihm gehabt hatte. Er sah eindeutig besser aus als der Durchschnitt – daran konnte auch die Billy-Idol-Frisur nichts ändern –, aber das war nicht das, was einem auffiel. Es war die Traurigkeit, die von ihm ausging. Als er auf sie zukam, fiel ihr auf, dass sie sich nicht vor ihm
Weitere Kostenlose Bücher