Die letzte Mission
die Augen lief.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er Karen Manning das erste Mal sah. Sie lief über einen Hügel, der deprimierend weit entfernt war. Früher hatte er genau gewusst, wie weit er gehen konnte und wie sich die Anstrengung auf seinen Körper auswirken würde, doch inzwischen hatte er keine Ahnung mehr. Obwohl er in einem Tempo lief, das vermutlich nur halb so schnell war wie früher, fühlte sich sein Herz an, als würde es ihm gleich die Brust zerreißen. Noch schlimmer war, dass er langsam die Koordinationsfähigkeit in seinem rechten Bein verlor.
Als er sie das nächste Mal sah, war es nur ganz kurz – ein Aufleuchten von Rosa und Gelb, das sich immer mehr von ihm entfernte.
Karen Manning warf einen Blick hinter sich, als sie für einen Moment zwischen den Bäumen herauskam, und sah, dass der Läufer hinter ihr langsamer geworden war. Seiner unkoordiniert wirkenden Laufweise nach zu urteilen, strengte er sich gehörig an, um den Abstand zwischen ihnen zu verringern.
Sie schüttelte den Kopf, sprang über einen Baum, der auf den Weg gefallen war, und wich den Ästen aus, die auf der anderen Seite lagen. Manchmal war sie froh darüber, Gesellschaft beim Laufen zu haben – ein interessantes Gespräch konnte helfen, die Kilometer hinter sich zu bringen. Aber hier nicht. Wenn sie den langen Weg zu dieser Laufstrecke fuhr, suchte sie Einsamkeit. Und wenn sich jemand so verausgabte, um sie einzuholen, gab es mit Sicherheit einen Grund dafür. Sie wollte die nächste Stunde nicht damit verbringen, keuchend hervorgestoßene Anmachsprüche zu ignorieren und neben einem vor Aufregung sabbernden Kerl herzulaufen.
»Und tschüss«, sagte sie laut, während sie schneller wurde und ein steiles Gefälle in einem Tempo hinauflief, bei dem nur wenige in Virginia mithalten konnten. Zehn Minuten später, als sie oben auf einem Hügel angekommen war und einen Blick zurückwarf, war ihr Verfolger nicht mehr zu sehen.
Es war ein gutes Gefühl, sich anzustrengen und alles auszublenden, was störte. Aber deshalb war sie nicht hergekommen. Sie brauchte etwas Zeit zum Nachdenken. Da sie es jetzt nicht mehr riskierte, eingeholt zu werden, wurde sie langsamer und lief in einem Tempo weiter, bei dem sie sich auf komplexere Themen konzentrieren konnte als die Frage, wo sie ihre Füße hinsetzen sollte.
John Wakefield zufolge war die Suche nach Fade mehr oder weniger an einem toten Punkt angelangt. Man war sich ziemlich sicher, dass er noch im Land war, aber Genaueres wusste man nicht. Nachforschungen zu seiner Person hatten ergeben, dass er seine Vergangenheit fast völlig ausgelöscht hatte.
Während das Glück ihre ehemaligen Kollegen allmählich verließ, verbesserte sich ihre Situation zusehends. Das Interview mit Bill O’Reilly hatte sie mit Bravour gemeistert, und Pickering ließ sich nach einer Besprechung mit den Rechtsanwälten ihres Vaters – einer Gruppe von Männern und Frauen, die Dschingis Khan für ein Weichei hielt – verleugnen. Noch ermutigender war, dass die Medien es inzwischen leid waren, die Witwen ihrer Teammitglieder zu interviewen, und nach einem neuen Ansatz suchten. Ihre PR-Berater würden dafür sorgen, dass dieser neue Ansatz darin bestand, in aller Ausführlichkeit zu schildern, dass ihr nichts mehr am Herzen lag, als das amerikanische Volk zu beschützen, ihre Kirchengemeinde zu unterstützen und Kekse für das lokale Waisenhaus zu backen.
Ihr Vater, der es geradezu genoss, die Medien zu manipulieren und Menschen zu vernichten, die er für seine Feinde hielt, hatte ihr mitgeteilt, dass er nicht eher ruhen würde, bis jeder amerikanische Bürger sie für eine Mischung aus Jeanne d’Arc und Mutter Teresa hielt. Es bestand nur wenig Zweifel daran, dass es ihm gelingen würde – ihm war noch nie im Leben etwas misslungen. Doch selbst wenn ihr guter Ruf eines Tages wiederhergestellt war, schien es sehr unwahrscheinlich zu sein, dass sie je wieder bei der Polizei arbeiten würde. Oder wollte. Egal, in welche Richtung die öffentliche Meinung pendelte, ihre Männer waren tot, und dafür trug sie die Verantwortung. Sie war sicher, dass sie ihre Gesichter für den Rest ihres Lebens vor sich sehen würde, wenn sie morgens aufwachte.
Und was jetzt? Wenn sie die Du-kannst-alles-erreichen-was-du-dir-vornimmst-Rede beherzigte, die ihr ihre Mutter vor kurzem gehalten hatte, stand ihr alles offen. Also Filmstar? US-Präsidentin? Gehirnchirurgin? Eher unwahrscheinlich.
Sie hatte überlegt,
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