Die letzte Nacht der Unschuld
Hoffentlich hatte er noch einen Platz für sie buchen können …
Sie erkannte ihren Irrtum, kaum dass sie die Zimmertür einen Spalt geöffnet hatte. Dort draußen auf der Schwelle stand nicht der Empfangschef, sondern Cristiano Maresca.
Impulsiv wollte sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, doch er war zu schnell und zu stark. Er schob sich in ihr Zimmer, und sie taumelte hilflos zurück.
„Was tust du hier?“, fragte sie atemlos.
Seine Miene blieb völlig ausdruckslos, sein Blick undurchdringlich. „Ich wollte mit dir reden.“
Sie lachte freudlos. „Tatsächlich? Vorhin sah es aber nicht so aus.“ Ihre Stimme bebte, sie atmete heftig. Er war nicht nähergekommen, dennoch raste ihr Puls. War ihr vorhin noch kalt gewesen, so brach sie nun in Schweiß aus.
„Wir wurden unterbrochen.“ Er lehnte sich lässig an die Wand und musterte sie. „Ich hatte gehofft, du würdest warten.“
„Habe ich.“ Das Zimmer schien ihr plötzlich viel zu klein, sie rückte so weit von ihm ab wie möglich. „Beim letzten Mal habe ich gewartet, erinnerst du dich?“
„Was?“
Etwas in seinem Tonfall veranlasste sie dazu, ihren Blick zu heben. Cristiano hatte sich von der Wand abgestoßen und kam auf sie zu. „Vergiss es“, murmelte sie, „es ist nicht wichtig.“ Sie ging ins Bad, um ihr Waschzeug zu holen. Als sie wieder ins Zimmer zurückkommen wollte, stieß sie in der Tür mit ihm zusammen.
Er fasste sie bei den Schultern, bevor sie ausweichen konnte.
„Im Gegenteil, es ist sogar sehr wichtig.“ Fragend schaute er auf ihre Kulturtasche. „Was machst du eigentlich?“
„Packen. Ich fliege nach Hause.“
Sein Griff lockerte sich nicht. „Das ist schade. Ich würde dich gern besser kennenlernen.“ Er hob eine Hand und strich ihr eine Strähne von der Wange. „Kann ich dich irgendwie überzeugen, noch zu bleiben?“
In dem weichen Licht wirkte sein Gesicht geradezu perfekt. Schmerzhafte Sehnsucht durchzuckte Colleen. Jede Zelle in ihrem Körper reagierte auf seine Nähe. All die Zeit über hatte sie die Erinnerung an seinen Duft in sich getragen, jetzt war er real und stieg ihr in die Nase. In ihren Träumen hatte sie seine dunklen Augen vor sich gesehen, jetzt blickte sie direkt hinein …
Nur sahen sie jetzt anders aus. Die Zärtlichkeit war verschwunden, sein Blick war härter, kälter geworden.
„Nein.“
Sie machte sich von ihm los und eilte auf die andere Bettseite, so schnell das geraffte Abendkleid es ihr erlaubte. „Ich habe nicht vor, als nächster Name auf der Liste deiner One-Night-Stands zu landen.“ Sie lachte trocken. „Obwohl, wenn man die Nacht vor vier Jahren hinzuzählt, müsste er sich ja schon längst darauf befinden. Es wäre doch doppelt dumm, ein zweites Mal auf …“
Das Klopfen an der Tür unterbrach Colleen mitten im Satz. Sie eilte hin, um zu öffnen.
Dieses Mal war es der Empfangschef, ein kleiner, überschlanker Mann mit einem dünnen Oberlippenbärtchen. „Guten Abend, mademoiselle . Sie baten darum, Ihren Rückflug nach Leeds umzubuchen“, begann er höflich. „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass dies nicht möglich ist. Wegen Nebel sind die meisten Flüge nach Großbritannien gestrichen worden, nur Heathrow wird noch angeflogen. Ich habe mich bei mehreren Fluglinien erkundigt, doch es gibt keine Plätze mehr. Natürlich besteht die Möglichkeit, eine Privatmaschine zu chartern …“
Colleen schüttelte den Kopf. Dominic war überaus großzügig, was Spesen anbetraf, aber selbst er würde wohl bei den Kosten für eine Privatmaschine streiken – zu Recht. Und aus eigener Tasche – sie, die jede Tankfüllung für ihren kleinen Wagen genau kalkulieren musste – würde sie es ganz bestimmt nicht bezahlen.
„Es tut mir leid, dass ich nicht weiterhelfen konnte, mademoiselle .“ Der kleine Mann verbeugte sich leicht. „Sollten Sie irgendeinen anderen Wunsch haben, brauchen Sie nur den Empfang anzurufen.“
„Danke.“ Colleen schloss die Tür und lehnte sich für einen Moment mit dem Rücken dagegen, als Verzweiflung sie überkam. Sie hatte Heimweh, wollte zurück zu Alexander, doch jetzt … Der Rückflug war erst für Freitag gebucht. Dominic hatte ihnen allen eine Woche freigegeben, sodass sie auch Zeit haben würden, die Stadt zu besichtigen. Sie hatte nicht protestiert, weil sie tief in ihrem Innern darauf gehofft hatte, dann öfter mit Cristiano zusammen sein zu können.
Dumm, dumm, dumm.
Cristiano stand bei der Balkontür und sah hinaus.
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