Die letzte Nacht der Unschuld
Typ.
Sukis Worte verspotteten ihn. Ein schmales Lächeln erschien auf seinen Lippen. Alle seine Freundinnen fuhren Ski und Snowboard. Sie sahen auch alle aus wie Models.
„Dann werde ich es dir wohl beibringen müssen.“
„In diesem Aufzug?“ Mit einem nervösen Lachen zupfte sie an ihrem Abendkleid. „Und ich habe auch nicht die richtige Garderobe fürs Skifahren mitgebracht.“
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. „Ich bin sicher, Francine hat eine Skiausrüstung in der Hütte.“
„Francine?“, fragte Colleen alarmiert.
„Meine Neurologin. Die Hütte gehört ihr.“
Und es war ihre Idee, dachte er grimmig. Schon jetzt war ihm unwohl bei dem Gedanken, so weit von der Rennstrecke und dem Team weg zu sein – und dann auch noch zusammen mit Colleen Edwards … Dio , das Ganze war doch als Entspannung gedacht gewesen.
„Wie auch immer … ich würde mich als komplette Niete erweisen“, sagte Colleen. „Ich hätte viel zu große Angst. Ich bin der größte Angsthase der Welt. Bei einem Firmenausflug musste man mich einmal auf halber Höhe von der Kletterwand retten. An dem Abend in Monaco …“ Sie brach ab.
Cristiano warf ihr einen Seitenblick zu. „Ja?“
„Wir sind von der Rennstrecke zu deiner Villa gefahren, um dort das Interview zu machen.“ Sie lächelte zögernd. „Auf der Fahrt bin ich vor Angst tausend Tode gestorben, so, wie du gefahren bist.“
Er lächelte ironisch und umklammerte das Lenkrad fester. „Mit gutem Grund, wie sich am nächsten Tag herausstellte“, meinte er schneidend. Er überholte den LKW, den er schon seit einigen Meilen vor sich hatte. Der Sportwagen beschleunigte mit sonorem Brummen. Colleen krallte die Finger in den Sitz. „Du bist kein großer Fan von Autorennen, oder?“, fragte er.
„Nein.“ Dumpf starrte Colleen auf die Häuser der kleinen Stadt, durch die sie jetzt fuhren. Sie stellte sich die Kinder vor, die hinter den heruntergelassenen Rollläden schliefen. „Aber mein Bruder war ein großer Fan von dir. Deshalb habe ich vieles mitbekommen und war ausreichend für das Interview vorbereitet.“
„Er war?“
„Ein Jahr vor jenem Rennen verunglückte er tödlich bei einem Autounfall.“ Sie versuchte sich an einem Lachen. „Deshalb hatte ich damals wahrscheinlich auch solche Angst als deine Beifahrerin – und weil mein Vater ebenfalls bei einem Autounfall starb. Autos machen mich noch immer nervös. Wills Tod war zu jener Zeit noch zu frisch.“
Cristiano rieb sich mit einer Hand übers Gesicht. „Hattest du mir davon erzählt?“
Colleen lehnte den Kopf an die Stütze und schloss die Augen. Sie war plötzlich endlos müde. „Nicht während der Fahrt. Da bekam ich vor Angst keinen Ton heraus. Aber hinterher …“
„Hast du jetzt Angst?“
In der Stille des Wageninneren klang Cristianos Stimme rau wie Sandpapier. Dennoch überlief sie ein Schauer – es war die Stimme, die sie im Traum so oft gehört hatte.
Stumm schüttelte sie den Kopf. Nicht vor dem Auto zumindest. Aber vor der Intensität der eigenen Sehnsucht, die sie all die Jahre über eisern im Zaum gehalten hatte.
Je weiter sie nach Norden fuhren, desto kälter wurde es. Die Wolken brachen auf und gaben die Sterne frei. Die Berge wirkten wie schlummernde Riesen.
Cristiano hielt an einer Tankstelle, um aufzutanken und Schneeketten anzulegen. Auf dem Weg zurück von der Kasse, wo er bei einem verdatterten Teenager mit offen stehendem Mund die Rechnung bezahlt hatte, lockerte er seine Schultern. Der Campano CX8 mochte als der schnittigste und begehrenswerteste Sportwagen angepriesen werden, aber einen Preis für komfortablen Innenraum würde er niemals gewinnen. Die intime dunkle Enge in dem Wagen, die Wärme und der frische Duft von Colleen Edwards Haut machten Cristiano seltsam rastlos und überreizt.
Als er beim Wagen ankam, schlief Colleen noch immer. Ein ungewohntes Gefühl zog seine Brust zusammen. Frustration, sagte er sich säuerlich und glitt hinters Steuer. Wäre er allein unterwegs, säße er schon längst in dem Chalet.
Während er den Motor anließ, dachte er darüber nach, was Colleen gesagt hatte. Damals hatte sie wegen ihres Bruders Angst gehabt, in seinem Wagen zu sitzen. Erklärte das, weshalb er jetzt so langsam und vorsichtig fuhr? Wusste sein Unterbewusstsein irgendwie noch von ihrer Angst?
Die Vermutungen überschlugen sich in seinem Kopf. Und die Hoffnung. Auf der Party hatte er sie erkannt. Zwar nicht bewusst, dennoch hatte er
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