Die letzte Nacht der Unschuld
Fossil?“, fragte der Junge aufgeregt.
Cristiano tat, als schaue er sich den Stein genau an. „Das glaube ich nicht.“
„Ich zeige ihn Mummy“, entschied Alexander, machte sich von Cristianos Hand los und rannte zu Colleen. „Mummy! Mummy! Sieh nur!“
Colleen schreckte hoch. Furcht und Sorge standen auf ihrer Miene. Zu spät erkannte Cristiano, dass sie geschlafen hatte. „Was ist denn?“
Die Angst war zurück, ließ ihren Ton scharf werden. Strauchelnd rappelte sie sich auf die Füße, doch schon war Cristiano bei ihr und nahm sie bei den Schultern.
„Alles in Ordnung. Colleen. Er möchte dir nur einen Stein zeigen.“
Sie entspannte sich, das konnte er unter seinen Handflächen spüren. Und die Fürsorge, die er für sie empfand, wandelte sich prompt in ein wesentlich weniger nobles Gefühl.
„Vielleicht ist es ein Fossil, Mummy“, wiederholte Alexander hoffnungsvoll. Ohne den plötzlichen Funkenschlag zwischen den Erwachsenen zu bemerken, hielt er seiner Mutter den Stein hin. „Sieh du nach.“
Colleen machte sich aus Cristianos Griff frei, um den Schieferstein zu untersuchen. Ihr Herz hämmerte noch immer nach dem Schock, Alexander so laut nach ihr rufen zu hören – und von Cristianos Berührung. So jäh aus dem Schlaf hochgeschreckt zu sein, hatte ihre Schutzmauern eingerissen, und noch immer konnte sie vor sich sehen, wie Cristiano zusammen mit Alexander im Sand gespielt hatte.
Lange hatte sie den beiden zugeschaut und sich an Alexanders Miene erfreut. Ihr Junge war so glücklich, dass jemand mit ihm spielte – sorglos und allein auf das Spiel konzentriert. Nicht so wie sie, deren Gedanken nie ganz bei der Sache waren, weil sie immer noch etwas anderes zu erledigen hatte. Und Cristiano dort zu sehen, wie ein von der Sonne geküsster Gott, der am falschen Ort zur Erde abgestiegen war, hatte ihr den Atem geraubt.
Sie schlug den Schieferstein sacht gegen den Felsen, bis er zu blättern begann. „Du hast recht“, sagte sie, als sie mehrere Schichten freigelegt hatte. „Hier, sieh nur. Das scheint ein Blatt zu sein.“
Alexander stieß ein Triumphgeheul aus und rannte schon wieder los. „Ich hole noch einen!“
Kopfschüttelnd kam Cristiano zu ihr. Er ist hier so anders, dachte Colleen sehnsüchtig. Die eisige Distanziertheit, die er nutzte, um andere auf Abstand zu halten, war verschwunden.
„Ich rechne es ihm hoch an, dass er mir nicht vorgehalten hat: ‚Ich hab’s dir ja gesagt.‘ Für mich war es wirklich nur ein Stein.“
Colleen senkte den Blick. Anders hieß in diesem Fall auch unwiderstehlicher. Und sie war doch so entschlossen gewesen, sich von ihm nicht erweichen zu lassen. Weil sie überzeugt war, dass es das Beste für Alexander war. In den endlosen Stunden am Krankenbett hatte sie sich geschworen, nie wieder den eigenen Wünschen Vorrang zu geben.
Doch nun schien alles anders. Nun war sie nicht mehr sicher, ob es nicht besser für den Jungen war, wenn sie drei zusammen wären.
„Hier gibt es viele Fossilien.“ Sie war atemlos, als wäre sie Meilen gerannt. „Jedes Mal, wenn wir herkommen, finden wir welche. Ich wette, du könntest gleich hier, wo du stehst, eines finden.“
„Eine Wette habe ich noch nie ausgeschlagen. Lass uns sehen, ob du recht hast.“ Er bückte sich nach dem Stein, der halb aus dem Sand herauslugte, und reichte ihn Colleen. Ihre Finger berührten sich flüchtig. Cristiano fühlte das Beben, das Colleen durchfuhr, und es traf auch ihn wie ein Stromschlag.
Sie konzentrierte sich auf den Stein, nestelte mit langen schlanken Fingern an den Rändern, teilte den Schieferstein in der Mitte und schlug ihn auf wie Buch. „Hier, siehst du?“ Sie hielt ihm die beiden Hälften hin. „Es ist wunderschön.“
„Ich sehe nichts.“
„Weil du nicht richtig hinschaust.“
Ihr Blick lag auf seinem Gesicht, in ihrer Stimme schwang ein Lachen mit. Das hatte er schon lange nicht mehr bei ihr gehört. Es stimmte ihn froh und glücklich, dass er für dieses Lachen verantwortlich war. „Ich schaue mir etwas viel Schöneres an“, sagte er heiser.
Er stützte beide Hände flach gegen den Felsen, hielt Colleen damit zwischen seinen Armen gefangen, beugte den Kopf und streifte mit seinem Mund ihre Lippen.
„Cristiano, wir können doch nicht …“
„Was können wir nicht? Wenn du damit meinst, dass wir uns nicht hier auf dem Sand lieben können, dann muss ich dir recht geben.“ Sanft knabberte er an ihrem Hals. „Immerhin sind wir Eltern, und
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