Die letzte Nacht der Unschuld
mit einer strampelnden Ruby auf dem Arm, die sich bitterlich beschwerte, dass sie ihre Lieblingssendung verpasste, zur Tür.
„Ruf mich an“, sagte sie noch zu Colleen, dann war sie auch schon verschwunden.
Cristiano stellte Alexander auf die Füße zurück. Der jähe Unwillen, den Jungen loszulassen, überrumpelte ihn. Die Fahrt war anstrengend gewesen, und für die Benzinkosten hätte er genauso gut ein Flugzeug chartern können. Aber allein Alexanders Gesicht zu sehen, war es wert gewesen. Lächelnd musterte er den kleinen Jungen, der mit offenem Mund und großen Augen den Wagen bestaunte.
Als Cristiano sich zu Colleen umdrehte, erstarb sein Lächeln. Sie stand an den Türrahmen gelehnt, in Jeans und langärmeligem T-Shirt. Aber die Reaktion seines Körpers war dieselbe, als würde sie schwarze Spitze tragen.
„Wie geht es ihm?“, fragte er.
„Gut.“
„Und dir?“
„Auch gut.“
Sie sieht nicht so aus, dachte er, sondern wie jemand, der ins Bett gehört und den man mindestens eine Woche ungestört schlafen lassen sollte. Ein nobler Vorsatz, nur war er nicht sicher, ob er sich daran würde halten können …
Alexander hüpfte mit glänzenden Augen auf und ab. „Können wir jetzt mit deinem Auto fahren?“
„Meinetwegen. Wohin möchtest du denn?“
„An den Strand!“
Colleen vermied den Blick zu Cristiano sorgfältig und griff nach Alexanders Arm. „Komm wieder rein. Ohne Jacke ist es draußen viel zu kalt für dich.“ Sie hasste ihren mürrischen Tonfall selbst, und bei Alexanders Enttäuschung durchfuhr sie ein schmerzhafter Stich.
Cristiano hielt sie am Ellbogen fest, als sie Alexander ins Haus folgen wollte. „Was ist? Gefällt dir die Idee nicht?“
„Lässt sich überhaupt ein Kindersitz in diesem Wagen unterbringen? Denn ohne Kindersitz kommt es nicht infrage …“
„Entspann dich, cara . Ist schon alles vorbereitet. Wenn es also keine anderen Einwände gibt …“
„Es ist zu weit. Und zu kalt.“ Sie wappnete sich gegen die Gefühle, die seine Nähe in ihr auslöste. „Alexander ist noch nicht kräftig genug.“
„Sagtest du nicht, es gehe ihm gut?“
„Sicher, aber den ganzen Tag unterwegs … das ist zu anstrengend für ihn. Und was machst du, wenn ihm in deinem tollen Auto übel wird?“
Ein kleines Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. „Ganz ehrlich?“
„Ja.“ Colleen hatte Mühe, nicht zurückzulächeln.
„Ich überlasse es dann dir, dich darum zu kümmern.“ Er grinste, als sie entrüstet nach Luft schnappte. „Aber ich bin sicher, so weit wird es nicht kommen.“ Er legte einen Arm um ihre Schultern und schob sie ins Haus. „Und du suchst jetzt alles zusammen, was man für einen Tag am Strand in euren kalten englischen Breitengraden braucht.“
Ein strahlend blauer Märzhimmel ließ den Eindruck entstehen, der Frühling hätte bereits Einzug gehalten. Die Moorlandschaft zeigte sich in einem zart hellgrünen und violett-braunen Kleid, aber noch fegte ein kalter Wind übers Land.
Auf dem Beifahrersitz in Cristianos Auto fühlte Colleen sich wie betäubt. Sie war also wieder am Ausgangspunkt angekommen. Da hatte sie sich gratuliert, dass das verbissene und verängstigte Mädchen in den letzten vier Jahren endlich reifer und erwachsener geworden war, und doch saß sie jetzt hier, verbissener und verängstigter denn je. Hinter ihr im Kindersitz war Alexander jedoch selig vor Glück.
Sie schaute auf Cristianos Profil und konnte eigentlich noch immer nicht glauben, dass er wirklich hier war. „Ich dachte, die Saison fängt bald an. Ich hätte nicht erwartet, dich vor Saisonende zu sehen.“
Er warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. „Für einen Moment hörte sich das fast an, als hättest du mich vermisst.“
Das Blut schoss ihr in die Wangen. „Nun, Alexander hat ständig nach dir gefragt.“
„Ich bin gekommen, sobald ich konnte.“
Hoffte sie darauf, dass er mehr dazu sagen würde, so wurde sie enttäuscht. Schweigen breitete sich aus, bis sie fragte: „Wie läuft das Training?“
Er verkniff sich ein Grinsen. „Gut.“
Es war kein Training, sondern es waren Testläufe – was jede Frau, mit der er je geschlafen hatte, gewusst hätte, einschließlich seiner Rundenzeiten. Das neue Campano-Modell hatte viel Aufsehen erregt, und sobald Cristiano im Cockpit gesessen hatte, waren auch die Dämonen verschwunden. Er war Bestzeiten gefahren, die für Schlagzeilen in allen Sportzeitschriften gesorgt hatten.
Keine Flashbacks, keine Panikattacken.
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