Die letzte Nacht der Unschuld
ihn wissen lässt, dass er einen Sohn hat.“
Hatte sie gehofft, dieses Gespräch schnell beenden zu können, war sie jetzt nicht mehr sicher, ob das möglich war. Sie setzte sich wieder. „Schon gut, Dominic. Ich habe es versucht, das weißt du. Zweimal habe ich ihm geschrieben. Und vorher habe ich zwei Tage vor der Klinik gewartet, ohne zu ihm gelassen zu werden.“
„Ja, ich weiß, Liebes. Aber Briefe können verloren gehen oder abgefangen werden. Und dass man dich nicht zu ihm gelassen hat, ist nicht verwunderlich. Die Presse und Hunderte von Fans wollten zu ihm, während er auf der Intensivstation mit dem Tod rang. Aber solange er diese wichtige Information nicht mit Sicherheit erhalten hat, wirst du nie wissen, woran du bist. Ich denke, schon um Alexanders willen solltest du es noch einmal versuchen.“
Colleen verschränkte verkrampft die Hände im Schoß. „Ich habe nicht vor, ihn zu zwingen, Alexander anzuerkennen. Ich brauche keine Hilfe von Cristiano. Alexander und ich kommen gut allein zurecht.“
„Was ist mit Alexander?“, hielt Dominic dagegen. „Eines Tages wird er wissen wollen, wer sein Vater ist. Er ist erst drei Jahre alt, und schon jetzt ist er besessen von Autos und Geschwindigkeit. Früher oder später …“
Colleen stellte seufzend ihre Tasse ab. „Was soll ich deiner Meinung nach denn tun, Dominic? Ich habe Cristiano geschrieben. Ich habe versucht, an den Sicherheitsleuten vorbeizukommen. Außer einer Exklusivstory in einem Klatschmagazin sehe ich keine Möglichkeiten mehr.“
Wortlos zog Dominic eine Schublade auf, holte einen Umschlag hervor und schob ihn Colleen hin. „Geh zu ihm.“
Colleen starrte auf den Umschlag. Ihr Herz begann in unguter Vorahnung zu pochen. „Was ist das?“
„Eine Einladung.“ Er hätte gern lässiger geklungen und verfluchte sich im Stillen dafür, dass es ihm nicht gelang. „Zu einer Party im Casino von Monte Carlo, um den Start der neuen Saison mit dem Campano-Team zu feiern – und das Comeback von Cristiano Maresca.“
Colleens blaue Augen weiteten sich. „Fährst du hin?“
Dominic wusste nicht, ob es Panik oder Hoffnung war, die ihre Stimme beben ließ. „Nein. Ich schicke Lisa und Ian hin. Und dich.“
Colleen sprang auf und schüttelte wild den Kopf. „Nein, das kannst du nicht. Was ist mit Alexander? Ich kann nicht weg …“
Mit diesem Argument hatte Dominic gerechnet und war vorbereitet. „Alexander bleibt bei uns. Ruby und er nerven doch schon seit Ewigkeiten, dass sie eine Pyjama-Party machen wollen.“
Colleen lächelte nicht. „Ich habe ihn noch nie über Nacht allein gelassen.“
„Es wird schon alles gutgehen. Ruby hat es auch nichts ausgemacht, als Lizzie und ich für unseren Hochzeitstag weggefahren sind. Du tust das auch für Alexander, Colleen. Es ist deine Chance, Antworten zu erhalten und endlich Klarheit zu bekommen.“
„Das wird eine tolle Party.“
Dr. Francine Fournier sah von der Einladung in ihrer Hand auf und hob eine Augenbraue an. „Ich bedaure, dass ich nicht daran teilnehmen kann, aber leider findet heute Abend …“
„Bitte, Sie brauchen nichts zu erklären.“ Cristiano stand auf und lief ein paar Schritte in dem Sprechzimmer auf und ab. Mit einem schwachen Lächeln drehte er sich zu der Ärztin um. „Wir beide wissen doch, dass das Ganze ein Bluff ist. Hätte ich eine Wahl, würde ich auch nicht hingehen.“
Draußen vor den Fenstern senkte sich die Abenddämmerung über Nizza. Der Asphalt glänzte im Februarregen. Hier im Raum verbreitete indirekte Beleuchtung warmes Licht, ein Blumentopf mit den ersten Hyazinthen verströmte seinen Duft. Das Einzige, was an ein Arztzimmer erinnerte, waren die Röntgenbilder von Cristianos Kopf auf dem Leuchtmonitor an der Wand.
Mit einem Seufzer schob Dr. Fournier die Einladung wieder in den Umschlag und legte diesen in die Patientenakte auf dem Schreibtisch. „Es ist kein Bluff, Cristiano. Aber vielleicht ist es … noch ein wenig zu früh.“
„Zu früh?“, wiederholte Cristiano tonlos. Die Hände in die Hosentaschen gesteckt, ging er zu dem Monitor und starrte auf die Röntgenbilder, als könnte er etwas entdecken, das Dr. Fournier nicht aufgefallen war. „Wie viel zu früh? Ein Jahr? Zehn Jahre? Ein ganzes Leben? Denn nach dem, was Sie mir gerade eröffnet haben, werde ich nie wieder Rennen fahren.“
Francine Fournier war achtundvierzig Jahre alt und seit sechs Jahren glücklich in zweiter Ehe verheiratet. Sie war zudem europaweit die
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