Die letzte Nacht
für die nächste Spielsaison. Neben dem Souvenirladen, hinter den Platanen, leuchteten schon die bunten Hemden der ersten Touristen auf.
»Ein Weißwein?«, fragte Marcel.
»Danke. Leistest du mir Gesellschaft?«
Madame Augustine war erfreut gewesen, ihn nach monatelanger Abwesenheit wiederzusehen. Er hatte ihr nicht die ganze Wahrheit erzählen, aber immerhin deutlich machen können, dass dergleichen nicht wieder vorkommen würde.
»Es ist ein bisschen windig heute«, sagte Marcel.
»Hm …«
Der Wind hatte die Wolken weggefegt, die in den Tagen zuvor etwas Regen gebracht hatten. Salviati war gerade damit beschäftigt, den Boden für einen neuen Rosengarten vorzubereiten. Er hatte ein wenig Eisensulfat unter die Erde gemischt und wollte nach dem Schoppen drei Säcke Düngemittel zur Villa schaffen. Marcel riss ihn aus seinen Gedanken:
»Ein Wunder, dass der noch auf den Beinen ist …«
Es war Monsieur Simon, der alte Dorflehrer. Er fuhr immer mit dem Fahrrad zum Einkaufen; und auf dem Rückweg kurvte er, zwei Taschen am Lenker und eine auf dem Gepäckträger, um die Platanen auf dem Platz. Sein Gleichgewichtssinn war bemerkenswert. Salviati lächelte und zündete erneut die Pfeife an.
Der Überfall war weit weg. Forster würde keinen Ärger mehr machen: Salviati hatte Gerüchte gehört, nach denen er geliefert war, die Schuldner hatten sich auf ihn gestürzt. Aber Salviati wusste aus Erfahrung, dass derartige Operationen einer langen Erholungszeit bedurften. Die Schlagkraft des Überfalls, die Wucht der Ereignisse, die Überraschung und die Wut. Das sind Dinge, die nicht von einem Tag auf den andern vorbei sind. Salviati hatte die Befürchtung, dass diese zehn Millionen irgendwo noch immer Unheil anrichteten. In Annas und Filippos Bewusstsein, in Linas Zögern, in Elias Schweigen …
Ach ja, Elia. Er hatte nicht mehr von sich hören lassen, aber Salviati wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war. Während Elia seine Flöße zu Wasser ließ oder durch die Wälder streifte, würde er tagtäglich das Bedürfnis verspüren, besser zu begreifen. Derweil rauchte Salviati seine Pfeife, dachte an seine Rosen und trank mit Marcel einen Weißwein. Hinter dem Platz verschwand die Sonne, und er stellte den Jackenkragen auf.
»Gestern war Georges hier«, sagte Marcel. »Er hat erzählt, dass ihr oben bei der Villa einen neuen Brunnen angelegt habt.«
»Ja. Das hatten wir schon länger vor.«
»Es wird euch im Sommer zugutekommen …«
»Hoffen wir’s.«
»Puh … ist ein bisschen windig heute!«
»Ja. Der Wind kommt vom Meer.«
Enea Dufaux gönnte sich gerne auch mal außerhalb der Saison ein paar Tage an Bord seiner Lucky. Letztlich steht eine gut ausgestattete Jacht einem Büro in nichts nach. Tagsüber war er auf der Brücke oder legte in einem kleinen Hafen an, am Abend wählte er ein Restaurant an der Küste. Von seiner Kabine aus war er mit der gesamten Welt verbunden: Er konnte seine Geschäfte abwickeln, wie er es von Mailand oder Zürich aus getan hätte.
Der Wind blies vom Meer aufs Land. Dufaux sah auf, um dem Profil der Häuser und der dahinterliegenden Hügel zu folgen. Er hatte das Gefühl, gleichsam den Duft der Provence in sich aufzunehmen, die Stimmen der Frauen zu hören, die zu einem Plausch in den Ladentüren standen.
Braun gebrannt, mit hohen Wangenknochen und strengem Mund, konnte Enea Dufaux schon ein wenig Furcht einflößen. Er war in der Tat ein bemerkenswerter Geschäftsmann, der sich kaum eine Gelegenheit entgehen ließ. Aber hin und wieder verspürte er eine gewisse Müdigkeit, und dann genehmigte er sich gerne eine Flasche Bordeaux. Einen besonderen Jahrgang.
Er richtete den Blick erneut auf den Computer. Zu viele E-Mails. Alle hatten etwas mitzuteilen. Er löschte ein halbes Dutzend, dann druckte er eine Abrechnung der Junker-Bank aus. Reto Koller hatte auch diesmal den richtigen Riecher gehabt: Dufaux hatte eine bestimmte Summe in die Junker-Bank investiert und dabei auf das Durchsetzungsvermögen der kleinen Bank gesetzt. Er hatte sich als ein guter Kunde erwiesen, mit dem nötigen Geld, einer Zukunft und Potentialen. Und Koller hatte gute Arbeit geleistet: Den Schweizern konnte man in diesem Punkt vertrauen. Nicht von ungefähr befand sich ein Drittel des weltweiten Offshore- Privatvermögens auf ihren Banken.
Dufaux gähnte und nahm einen Schluck Wein. Bei dem Gedanken an Koller fiel ihm dieses Durcheinander kurz vor Weihnachten ein. Er hatte nicht ganz verstanden, was
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