Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
widerstehen. »Gerade ist die letzte Gruppe der Rebellenführer nach London gebracht und in Westminster vor Gericht gestellt worden«, berichtete sie hastig flüsternd. »Alle wurden sieschuldig gesprochen. Die Männer werden allesamt gehängt, auch Sir John Bulmer, aber seine Ehefrau, die von Adel ist, wird in Smithfield auf dem Scheiterhaufen verbrannt. So will es der König.«
Ich schwankte und musste mich mit einer Hand an der feuchten Steinmauer abstützen, um nicht zu fallen.
»Ja, ist es nicht entsetzlich?«, seufzte Schwester Agatha.
Schwester Joan hingegen musterte mich scharf. »Schwester Joanna, habt Ihr Lady Bulmer gekannt, bevor Ihr nach Dartford kamt?«
»Nein, Schwester«, log ich, ohne Bedenken eine schwere Sünde begehend.
»Ich frage mich immer«, fuhr Schwester Agatha fort, »was aus ihnen wird – hinterher, meine ich. Wird man der Familie gestatten, die sterblichen Überreste der armen Lady Bulmer zu bestatten, obwohl sie wegen Hochverrats verurteilt wurde?«
Schwester Joan warf ihr einen strengen Blick zu. »Solche Fragen sind nicht unsere Sache. Ich bin sicher, die Familie verfügt über die Mittel, um die Wachen zu bestechen. Wir kümmern uns um das Seelenheil der Menschen, nicht um ihre sterbliche Hülle.«
In der Kirche angekommen, verneigten sich Schwester Joan und Schwester Agatha vor dem Altar und nahmen ihre Plätze ein, während ich mich nach vorne zur Novizinnenbank begab. Als jüngste Novizin war mein Platz neben den Stufen zum Altarraum. Ich sang mit den anderen und stimmte mit ihnen in die Wechselgesänge des Responsoriums ein.
Doch in der Stille meiner Gedanken entstand ein Plan. Ich wusste, meine Stafford-Verwandten würden in ihrer Angst nichts mit Margaret oder ihrer Bestattung zu tun haben wollen. Mir aber war der Gedanke unerträglich, dass sie, verlassen von allen, die durch ihre Gegenwart und ihre Gebete ihr Leiden lindern könnten, allein und in Todesangst sterben und ihre sterblichen Überreste dem Vergessen anheim gegeben werden sollten. Ich musste Zeugnis ablegen. Es war Gottes Wille. Dessen war ich absolut sicher.
Ich würde das Kloster verlassen und nach London reisen, nach Smithfield, und da der Orden der Dominikanerinnen seinen Novizinnen und Nonnen strenge Klausur auferlegte, würde ich ohne Genehmigung reisen müssen.
Es machte mir Angst, o ja. Eine Verletzung der Klausurregel zog ernste Folgen nach sich, schwerer wog nur ein Verstoß gegen das Keuschheitsgelübde. Zwei Tage lang war ich hin- und hergerissen und suchte, in meiner Entscheidung schwankend, Rat im Gebet.
Und bei der Matutin um Mitternacht erhielt ich Gewissheit. Gewöhnlich suchten die Novizinnen in Dartford spätestens abends um neun ihr Lager auf, um zu ruhen, aber ich tat in dieser Nacht kein Auge zu. Ich war so unruhig, dass ich mich mit den anderen in die Kirche begab, und zwischen dem Vaterunser und dem Ave Maria geschah es. Als stünde ich unter den reinigenden Strömen eines Wasserfalls von höchster Klarheit, fielen alle Zweifel und Ängste plötzlich von mir ab. Ich würde nach Smithfield reisen. Alles würde gut werden. Ich hob die Arme und öffnete, mit Dankestränen auf den Wangen, meine Hände zum Altar.
Als wir die Treppe hinauf zum Dormitorium gingen, um bis zur Laudes einige Stunden zu ruhen, stieß Schwester Christina, die älteste von uns Novizinnen, mich an und fragte: »Habt Ihr die Göttliche Wahrheit gefunden? Es hat ganz so ausgesehen.«
»Vielleicht«, flüsterte ich.
»Ich bete darum, dass auch mir dieser Segen zuteil wird«, sagte Schwester Christina beinahe heftig. Sie war so eifrig in ihrem Glauben, dass sie manchmal ein härenes Hemd unter ihrem Habit trug, obwohl sie dafür getadelt worden war. Selbstkasteiung wurde bei Novizinnen nicht geschätzt. Wir waren noch nicht bereit dafür.
Schwester Winifred, die andere Novizin, die drei Monate vor mir das Ordensgelübde abgelegt hatte, drückte meinen Arm. »Das freut mich für Euch«, sagte sie mit ihrer warmen, melodiösen Stimme.
Ich traf alle Vorbereitungen für mein heimliches Verschwinden. In der Nacht vor Margarets Hinrichtung schlief ich nur wenige Stunden, bevor ich in der tiefen Dunkelheit unseres Dormitoriums das Gewand mit dem geschnürten Mieder überzog, das ich getragen hatte, als mein Vater mich im Herbst nach Dartford brachte. Auf Zehenspitzen schlich ich die Treppe hinunter in die Küchenräume. Ich wusste, dass an einem der Fenster dort das Schloss beschädigt war. Vorsichtig kletterte
Weitere Kostenlose Bücher