Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
sich, was wohl die anderen waren, entschied sich aber, nicht danach zu fragen. Er war sich nicht sicher, ob ihm die Antwort gefallen würde. Statt dessen überprüfte er die Fässer, um zu sehen, ob eines ausgetauscht werden mußte, dann spülte er die schmutzigen Gläser. Max klopfte mit dem Bleistift auf die vor ihm liegenden Papiere. Er mochte dem Druck seines Jobs in der Wall Street entflohen sein, um ihn gegen den Frieden der Berge einzutauschen, aber Zahlen kleinzukriegen lag ihm im Blut.
»Weißt du, ich glaube, wir müssen noch Umsatzsteuer für das vergangene Jahr nachzahlen.« Er musterte Travis nachdenklich. »Vielleicht ist das ja nur so eine Vermutung, aber … hast du eigentlich jemals daran gedacht, einen Taschenrechner zu benutzen?«
»Ich war immer der Ansicht, daß die Buchführung ohne so ein Ding eine viel kreativere Erfahrung ist«, sagte Travis. Aber Tatsache war, daß Travis genausoviel Talent zum Mathematiker wie zum Gehirnchirurgen hatte. Er war mehr als nur erleichtert gewesen, Max die Bücher überlassen zu können, aber er hatte nicht vor, seinen Angestellten das wissen zu lassen.
Max schloß das Hauptbuch mit einem verzweifelten Stöhnen. »Warum rammst du mir nicht einfach einen Bleistift ins Herz und machst ein Ende, Travis? Das wäre für uns beide einfacher.«
»Ach, ich weiß nicht«, erwiderte Travis. »Auf diese Weise ist das nicht so blutig.«
Für den Augenblick besiegt, trabte Max ins Lager, um dort nach Papierservietten zu suchen. Travis nahm sich einen Lappen, um die Theke abzuwischen, und genoß seinen Sieg. Als Arbeitgeber war es seine Pflicht, Max zu quälen. Daß es ihm gefiel, war lediglich ein Bonus.
Kurz nach acht Uhr betrat Sheriff Deputy Jacine Windom vom Castle County den Saloon. Einen kurzen Augenblick lang dachte Travis, sie sei auf ein Bier vorbeigekommen, dann sah er die Waffe an ihrem Gürtel. Sie war im Dienst. Jace grüßte Travis von der einen Seite des Raumes mit einem Tippen an den Hut, dann marschierte sie durch das Labyrinth der nicht zusammenpassenden Tische auf die Bar zu.
»Guten Abend, Travis«, sagte Jace. Ihre kecke Stimme hatte eine für den Westen typische, melodische nasale Färbung. Sie streckte die Hand aus.
Travis lächelte und schüttelte sie. »Schön, Sie zu sehen, Deputy Windom.« Er zog eine Grimasse, als sie seinen Händedruck mit überwältigender Kraft erwiderte. Nachdem sie losgelassen hatte, mußte er dem Drang widerstehen, sich die Finger zu reiben. Deputy Windom war eine kleine Frau Mitte Zwanzig, aber sie strahlte eine Autorität aus, die sie größer und älter erscheinen ließ. Sie hatte kurzes braunes Haar und trug eine khakifarbene Uniform, deren Bügelfalten scharf genug waren, um damit ein gut durchgebratenes Steak schneiden zu können.
Jace legte ihren Uniformhut auf die Theke und setzte sich auf einen Barhocker, dann ließ sie einen kühlen Blick durch den Saloon schweifen. »Sieht so aus, als würde sich das Geschäft heute abend lohnen.«
Travis füllte einen Becher mit Kaffee und schob ihn vor sie hin. »Ist nicht schlecht. Max hat nicht alle Gäste verjagt.«
Jace trank einen Schluck von dem kochendheißen Kaffee und warf ihm einen strengen Blick zu. »Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich das sage, Travis, aber Sie sind zu hart zu Maximilian. Es ist nicht sein Fehler, daß das Leben in einer großen Stadt einen Mann weich und nervös macht. Ihr Angestellter hat eine Menge, mit dem er fertig werden muß. Aber ich finde, er fängt an, sich gut einzuleben.«
Ihr Blick wanderte durch den Saloon. Max lachte gerade und schüttelte den Kopf, als die Daughters of the Frontier mit ihren blaugefärbten Haaren und ihren rotgefransten Lederanzügen versuchten, ihn dazu zu überreden, sich zu einem Country-Line-Dance einzureihen. Er sah auf, bemerkte Travis und Jace und schenkte ihnen ein komisch-verzweifeltes Grinsen.
»Wirklich nett«, sagte Jace und nahm ihren Becher in die Hand. »Sie müßten dem Jungen nur einen Haarschnitt und ein Paar Wranglers verpassen, und er würde einen hübschen kleinen Cowboy abgeben.«
Travis machte große Augen. Er starrte den weiblichen Deputy an, während sie in Max' Richtung blickte, und zum ersten Mal fielen ihm die goldenen Ohrringe auf, die an ihren kleinen hübschen Ohren funkelten. Ihr scharf geschnittenes Kinn vermittelte einen resoluten Ausdruck, in ihren Augen lag ein leidenschaftliches Funkeln. Irgend etwas sagte ihm, daß Max eine echte Überraschung erwartete.
Er
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