Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
nicht der Fall war. Sie war gefährlich, ja. Und sie sagte ihnen nicht die ganze Wahrheit. Aber sie hatte behauptet, ihre einzige Hoffnung zu sein, und in diesem Augenblick glaubte Travis das. Er wünschte sich, er könnte seine Revolvermann-Nickelbrille herausholen und sie ansehen. Manchmal konnte er, wenn er die Brille trug und die Augen auf die richtige Weise zusammenkniff, eine strahlende Aura um Menschen erkennen, Auren, die widerspiegelten, wer und was sie waren.
Doch dafür war jetzt keine Zeit. Vani ging bereits die Treppe herunter. Er und Grace schlossen sich ihr an und blieben dicht hinter ihr.
Sie erreichten den Parkplatz; die Nacht war still. Travis verspürte den überwältigenden Drang, einen Schrei auszustoßen, schluckte ihn aber herunter. Eigentlich hätte er es vorgezogen, wenn sich die Ungeheuer gezeigt hätten. Es war besser, den Tod kommen zu sehen, als darauf warten zu müssen, dass er unsichtbar und knurrend aus der Dunkelheit sprang.
Grace keuchte, sie riss die Augen auf. Travis hatte gar nicht mitbekommen, dass sie sie geschlossen hatte.
»Sie sind zu fünft«, flüsterte sie. »Sie haben uns umzingelt, bewegen sich schnell. Ich kann ihre Positionen nicht genau bestimmen. Und da ist … da ist noch was anderes. Ich konnte es nicht genau sehen, aber ich habe es gefühlt. Ein Bewusstsein. Ein Beobachter.«
Vani nickte. »Ich spüre den anderen auch. Darum kann man ihnen nicht so ohne weiteres Angst einjagen – ihr Herr ist hier. Das wird nicht so einfach werden, wie ich gedacht habe.«
Travis stöhnte. »Also was schlagen Sie vor?«
Vani wandte sich ihm zu, dann wurde ihr Ausdruck hart. »Lauft. Lauft so schnell ihr könnt zum Auto und steigt ein. Sofort!«
Beim letzten Wort versetzte sie Grace und Travis einen Stoß. Sie stolperten in Richtung des Wagens …
… und ein schwarzer Schatten katapultierte sich aus der Nacht.
Travis spürte heiße Krallen seinen Nacken streifen. Dann war Vani da und bewegte sich so schnell, dass ihre Arme und Beine zu verschwimmen schienen. Schläge hagelten auf die Kreatur herab, Blutstropfen glitzerten in der Luft. Kreischend griff das Ding mit beiden Armen zu, aber Vani war verschwunden. Dann flimmerte die Luft hinter der Kreatur, verbog sich. Vani sprang so mühelos vom Asphalt, als würde sie eine Treppe hochsteigen, und trat mit beiden Stiefeln zu. Das Ungeheuer schoss mit rudernden Gliedmaßen nach vorn, direkt in eine Mauer hinein. Ziegel zerbarsten. Die Kreatur sackte zu Boden und blieb reglos liegen.
»Travis!«
Der Schrei durchdrang den dumpfen Schleier, der seinen Verstand einhüllte. Grace zog an seinem Arm. Er fasste ihre Hand fester, und sie rannten quer über den Parkplatz auf den Wagen zu.
Die sie umgebende Dunkelheit fing an zu brodeln, aber Travis hielt den Blick auf den Wagen gerichtet. Am Rand seines Blickfelds sah er einen geifernden Rachen auf Grace zuspringen. Reißzähne funkelten in der Schnauze, dann wurde sie weggerissen und blieb zurück, als wäre sie gegen eine Obsidianmauer geprallt.
Der Zeitablauf verlangsamte sich, der Parkplatz wurde größer, Erics’ Wagen wich zurück. Jeder Schritt war wie ein langsamer Donner. Eine Pranke schoss von der Seite aus der Dunkelheit, packte Travis’ Hals, drückte zu. Dann zerriss die Nacht, zwei starke Hände griffen aus der Lücke zu, zogen die Kreatur zurück in die Finsternis. Ein Knurren verwandelte sich in unmenschliche Schreie, die mit dem Laut brechender Knochen endeten.
Die Zeit schien sich auszudehnen, schnellte zurück. In einem verwirrenden Ansturm schoss der Wagen heran und füllte Travis’ Blickfeld. Sie hatten es geschafft. Er griff nach der Wagentür.
Die Luft über der Limousine zerknüllte wie Zellophan, glättete sich wieder. Pechschwarzer Stoff flatterte, eine Gestalt landete anmutig auf dem Wagendach. Travis schaute nach oben und blickte in ein heiteres, goldenes Gesicht.
Die Gestalt ging in die Hocke. Alles an ihr war schwarz – Mantel, Handschuhe, Kapuze. Aus der Kapuze schaute kein menschliches Gesicht, sondern eine Maske, die so hell wie die Totenmaske eines Pharaos strahlte und mit einem seltsamen Frieden lächelte, da sie etwas betrachtete, das allen anderen für immer verborgen blieb. Die Gestalt hob eine behandschuhte Hand und machte eine sanfte, liebkosende Bewegung.
Schmerz durchfuhr Travis wie ein Nadelstich. Sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Er wollte etwas sagen, aber nur ein leises Gurgeln kam über seine Lippen, begleitet von
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