Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
einer Frage. »Wo ist die Königin?«
»Ich fürchte, da kommt Ihr zu spät, Mylady«, sagte Durge.
Aryn sah den Ritter stirnrunzelnd an. »Ivalaine ist nicht gestorben, Durge. Sie ist bloß zum Frühstück gegangen.«
»Wir wollten gerade selbst frühstücken gehen«, sagte Falken und schlang sich den abgegriffenen Holzkasten über die Schulter, der seine Laute enthielt. »Leistet Ihr uns Gesellschaft, Lirith?«
Sie nickte und ergriff seinen Arm, als er ihn anbot.
»Falken«, sagte Aryn, als sie auf eine Seitentür zusteuerten, »Ihr habt uns noch immer nicht gesagt, warum Ihr nach Ar-Tolor gekommen seid. Ich dachte, Ihr wolltet eine Zeit lang mit Tome reisen.«
Der Barde zuckte mit den Schultern. »Tome entschloss sich, lieber auszuruhen. Aber er ist immerhin zweitausend Jahre alt, also haben wir deswegen nicht gestritten. Außerdem, als wir von dem Großen Hexenzirkel hörten, entschieden wir uns, stattdessen herzukommen.«
Lirith blieb stehen. »Aber Königin Ivalaine hat den Hexenzirkel gerade erst einberufen.«
»Ja, meine Liebe«, sagte Melia. »Das wissen wir.«
Und wieder musterte Lirith die Frau mit den Bernsteinaugen. Auch wenn Melia keine echte Göttin mehr war, waren ihre Kräfte noch immer geheimnisvoll und groß. Die Hexen hatten sie immer respektiert … aber sie misstrauten ihr auch. Melia entstammte den neuen Religionen von Tarras, nicht dem uralten Sia-Kult.
Dennoch hat es den Anschein, als würden heute diejenigen, die den Namen Sia meiden, am schnellsten unter den Hexen aufsteigen, nicht war, Schwester Lirith?
Die Falten auf Durges Stirn vertieften sich. »Ich habe noch nie etwas von diesem Großen Hexenzirkel gehört. Was ist das?«
Lirith setzte zu einer Antwort an, aber noch während sie sich fragte, was sie dem Ritter eigentlich sagen sollte, kam ihr eine andere schrille Stimme zuvor:
»Dies, guter Ritter, tue ich kund:
Das Spinnrad dreht sich immer weiter, Wirkt Gespinste, dunkle Rätsel.
So mach’ dich auf zum Hexenbund.«
Als Lirith endlich etwas Grünes und Gelbes aufblitzen sah, hangelte er sich auch schon wie eine große, dürre Spinne an einem Wandteppich herunter. Er musste sich auf den Deckenbalken versteckt und gelauscht haben.
»Verschwindet«, grollte Durge und griff nach dem Messer an seiner Hüfte, als der Narr auf sie zukam.
Falken legte dem Ritter die Hand auf den Arm. »Nein, er war einst in diesen Hallen der König. Lasst ihn.«
Tharkis breitete die knochigen Arme aus und verbeugte sich, dabei klirrten die Schellen seiner Kappe misstönend. »Will nicht stören, will nicht lästig fallen. Will nur ein Gedicht aufsagen, unseren ehrenwerten Gästen gefallen.«
Durge sah nicht so aus, als wäre er in der Stimmung für Dichtkunst. »Raus damit, Narr, und dann verschwindet.«
Tharkis verbeugte sich so tief, dass die Spitzen seiner Stiefel seine Brauen berührten. Doch in dem Augenblick, in dem Durge wegschaute, vollführte der Narr eine Pantomime und stellte mit ungewöhnlicher Authentizität dar, wie er ein Schwert zog und sich hineinstürzte. Lirith verschluckte ein Kichern, Aryn hielt sich die Hand vor den Mund.
Durge fuhr herum. »Wie auch immer Eure Geschichte hier aussehen mag, Narr, Eure Possen sind hier nicht erwünscht.«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Melia und schob sich an dem finster dreinblickenden Embarraner vorbei. »Ich glaube, er gefällt mir. Tragt uns Euer Lied vor, Meister Tharkis. Bitte.«
Der Narr stellte sich in Positur und deklamierte mit schriller Stimme:
»Eines Tages sprach der Wolf zum Mond: Ich ertrage den Weg nicht länger.
So lange schon beschreite ich ihn,
Und er führt mich immer nur zum Anfang zurück.
Eines Nachts sprach der Mond zum Wolf:
Komm mit mir, erheben wir uns in den Himmel,
Essen von Sonnen und trinken von Sternen.
Alle unsere Träume werden sich erfüllen.
Aber solche Mühe er sich auch gab,
Der Wolf konnte nie hoch genug springen,
Noch konnte der Mond sich tief genug senken.
Man erzählt sich, dass jetzt beide Tränen vergießen.«
Das Lächeln auf Melias Gesicht erstarb während des Vortrags. Als Tharkis geendet hatte, schaute sie zur Seite. Falken sah sie an und seufzte. Lirith verstand nicht, was da vor sich ging, aber das Lied schien die beiden betrübt zu haben.
»Euer Vortrag scheint kein guter Willkommensgruß zu sein, Narr«, sagte sie.
»Sagte ich Willkommen?« Ein durchtriebenes Funkeln trat in Tharkis’ schielende Augen. »Vielleicht meinte ich Auf Wiedersehen. Das eine ähnelt dem
Weitere Kostenlose Bücher