Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
Lady Melindora Nachtsilber. Sie sind hier, auf Ar-Tolor.« Der junge Mann grinste. »Meine Großmutter hat mir Geschichten über sie erzählt, als ich auf ihren Knien saß. Aber das waren nur Geschichten, zumindest habe ich das immer geglaubt. Ich hätte nie gedacht, sie mal mit eigenen Augen zu sehen. Und es heißt, Ihr kennt sie, Mylady.«
Jetzt errötete der Wächter, offensichtlich durch seinen Ausbruch peinlich berührt. Lirith verarbeitete seine Worte. Melia und Falken waren auf Ar-Tolor? Natürlich würde es schön sein, die Lady und den Barden zu sehen. Sie hatte die beiden trotz ihrer ungewöhnlichen Herkunft lieb gewonnen. Aber warum waren sie hier? Sie hatten sich doch auf die Suche nach ihrem Freund – und Melias Verwandtem – Tome gemacht.
»Sie begeben sich gerade in den Großen Saal, um die Gastfreundschaft der Königin zu erbitten. Kommt Ihr, Mylady?«
»Ich komme gleich nach.« Lirith wollte Melia nicht in einem imaginären Gewand gegenübertreten. Etwas sagte ihr, dass die Frau mit den Bernsteinaugen jeden Zauber durchschauen würde, den sie zustande brachte.
Sie schloss die Tür und drehte sich um. Ihr Verstand klärte sich wie der Nebel im Morgenlicht. Tricks und Illusionen, das war alles. Doch als sie in den Kleiderschrank griff, um ihr Gewand herauszuholen, konnte sie es nicht vermeiden, wieder in die Zimmerecke zu blicken. Diesmal sah sie nur Luft.
Minuten später betrat Lirith den luftigen Großen Saal von Ar-Tolor. Vor dem Podest, auf dem der Thron der Königin ruhte, hatte sich eine kleine Gruppe von Leuten versammelt.
»Da seid Ihr ja!«, rief Aryn, hielt den Saum ihres gelben Gewandes hoch und eilte auf sie zu. »Wir haben auf Euch gewartet. Wo wart Ihr denn die ganze Zeit?«
Lirith schaffte es, ein trockenes Lächeln zustande zu bringen. »Ich habe mich angezogen.«
Sie ignorierte Aryns verblüffte Miene und ging zu Melia und Falken hinüber, die neben Durge standen. Sie hatten sich kaum verändert, seit sie sie das letzte Mal gesehen hatte – allerdings war das zu erwarten gewesen. Denn Falken war im Königreich Malachor geboren worden, das vor Jahrhunderten untergegangen war, und er war über siebenhundert Jahre alt. Und Melia war noch älter, eine Göttin aus Tarras, die ihrem überirdischen Reich entsagt hatte, um in menschlicher und viel eingeschränkterer Gestalt auf der Welt zu wandeln.
Falken trug wie immer seine von der Reise abgenutzten Sachen: ein rehfarbenes Wams, angestoßene Stiefel und einen Umhang von der Farbe des tiefen Meeres. Sein mit Grau durchsetztes Haar war so zerzaust wie immer, und seine faltigen Züge trugen ihren bekannten wölfischen Ausdruck. Melia hatte ihr blaues Überkleid gegen ein einfaches Gewand in der Farbe des Mondlichts eingetauscht. Davon abgesehen sah die kleine, majestätische Frau aus wie immer; ihre kupferfarbene Haut war makellos, und ihr Haar fiel ihr in einer blauschwarzen Mähne auf den Rücken.
Falken grinste, als Lirith zu ihnen trat. »Ich hoffe, Ihr habt Nachsicht mit einem alten Barden«, sagte er und nahm sie in die schlanken Arme. »Ich bekomme nicht in jedem Jahrhundert die Gelegenheit, eine wunderschöne Gräfin zu umarmen.«
Lirith lachte und erwiderte die Umarmung mit der gleichen Kraft. Seine dunklen Bartstoppeln kratzten auf ihrer Wange, aber das war ihr egal; er roch wie ein Wald. Er war schon ein seltsames Wesen, dieser unsterbliche Barde, aber er war auch ein guter Mann. Lirith wusste das ohne jeden Zweifel – ganz egal, was die Geschichten besagten. Sie glaubte nicht, dass er ganz allein ein ganzes Königreich zum Untergang verdammt hatte.
»Ihr seht gut aus, meine Liebe«, sagte Melia und rauschte heran.
Lirith tat nicht einen Augenblick lang so, als würde sie erwarten, dass Melia sie wie zuvor Falken umarmen würde. Nicht, dass Melia nichts für sie übrig hatte. Aber von der einstigen Göttin ging eine Zurückhaltung aus, die sie so kühl, strahlend und unerreichbar wie ihre Namensschwestern machte. Allein Falken schien diese Kluft überwinden zu können – und vielleicht noch Sir Beltan und Freisasse Travis, wenn allerdings auch in einem geringeren Grad. Lirith nickte der Frau knapp zu.
Als Melia das sah, blieb sie stehen, dann ging sie einen halben Schritt zurück und erwiderte das Nicken, und ihre bernsteinfarbenen Augen füllten sich mit einem Ausdruck, der beinahe traurig zu sein schien. Lirith verspürte einen Stich des Bedauerns in der Brust.
Sie überspielte das Unbehagen des Moments mit
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