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Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter

Titel: Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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genau wie die Gesellschaft, die sie pflegen. Aus welchem anderen Grund könnten sie hier sein, als uns auszuspionieren? Es wäre klüger gewesen, sie abzuweisen.«
    »Verzeiht mir, Schwester«, sagte Ivalaine in einem Tonfall, der jetzt so scharf wie eine Messerklinge war. »Ich wusste nicht, dass Euch die Gesetze der Gastfreundschaft nicht geläufig sind, die in dieser Domäne gelten. Ich werde sie Euch erklären. Wenn Leute, die nichts Böses getan haben, die Gastfreundschaft erbitten, muss sie gewährt werden.«
    Liendra zuckte unter der Gewalt von Ivalaines Worten zusammen. Falls jemand vergessen hatte, dass Ivalaine außer der Mutter auch die Königin war, wurden sie in diesem Augenblick daran erinnert. Eine Hexe durfte Ivalaines Entscheidungen als Mutter in Frage stellen, aber niemals ihre Entscheidungen als Herrscherin von Ar-Tolor. Doch Liendra strich ihr Kleid glatt und sprach weiter.
    »Ihr sagt, Ihr müsst denen Gastfreundschaft gewähren, die nichts Böses getan haben?« Selbst aus der Ferne konnte Lirith das gefährliche Lächeln auf Liendras Gesicht sehen. »Aber hat der Barde Falken nicht mit eigener Hand den Untergang von Malachor bewerkstelligt? Alle Geschichten besagen, dass es so ist, und er hat es niemals bestritten. Ich würde sagen, dass man den Mord an einem ganzen Königreich durchaus als etwas Böses bezeichnen könnte.«
    Ivalaine wollte etwas erwidern, aber Liendra war schneller. »Nein, Mutter, Eure Entscheidung, mich zurechtzuweisen, war richtig. Ich habe das Weben des Musters viel zu lange verzögert. Bitte vergebt mir.«
    Während die Königin nickte, kehrte Liendra auf ihre Position nahe der Mitte der Versammlung zurück. Ivalaines Augen funkelten wütend. Obwohl Liendras Worte reumütig geklungen hatten, hatten sie doch viel tiefer geschnitten als jede Beschuldigung. Lirith verspürte eine Gänsehaut. Es war nur schwer in Worten auszudrücken, aber in diesem Augenblick spürte sie eine Veränderung in der Einstellung der versammelten Hexen. Sie war ganz zart und doch fundamental, wie ein Wechsel der Windrichtung. Etwas war gerade geschehen.
    Bevor Lirith länger darüber nachdenken konnte, traten Aryn und Senrael nach vorn und gesellten sich zu Ivalaine. Sie würden jetzt die Hohe Beschwörung durchführen. Lirith ergriff die Gelegenheit, an ihren Platz zu eilen.
    Als sie eine Gruppe Hexen ihres Alters erreicht hatte, hatte die Hohe Beschwörung begonnen. Senrael spritzte mit ihren verkrümmten Fingern Wasser aus der Silberschale. Aryn hatte das Bündel geöffnet und drei Kerzen hervorgeholt, die sie jetzt auf einem Altar aufbaute. Eine Kerze war lang, eine zur Hälfte abgebrannt und die letzte nur noch ein Stumpf. Ivalaine entzündete die Kerzen mit einem brennenden Zweig, der scheinbar aus dem Nichts gekommen war.
    Lirith hielt den Atem an, während sie der Hohen Beschwörung zusah. Für gewöhnlich hatte eine junge Hexe Wochen Zeit, um sich für die Rolle als Jungfrau vorzubereiten; Aryn hatte Tage gehabt. Doch Tressa schien ihre Arbeit gut gemacht zu haben. Aryn unterliefen keine Fehler, als sie die vorgeschriebenen Schritte der Beschwörung ausführte.
    Und doch ist es mehr als das, Schwester.
    Nie zuvor hatte Lirith die Baronesse so selbstsicher gesehen. Ihre Haltung war gerade, beinahe schon majestätisch, und ihre Stimme war laut und deutlich. Für gewöhnlich unternahm Aryn große Anstrengungen, um ihren verkümmerten rechten Arm verborgen zu halten, aber nicht in dieser Nacht. Ein paar der jüngeren Hexen gaben spöttische, geflüsterte Kommentare von sich, aber ihre Gefährtinnen brachten die Mädchen schnell zum Schweigen.
    Lirith lächelte. Sie kannte die Quelle von Aryns neu gefundener Selbstsicherheit nicht, aber sie war froh darüber.
    Die Hohe Beschwörung war fast vorbei. Auf der Tribüne läutete Aryn eine kleine Silberglocke. Sie löschte die größte der Kerzen, im gleichen Augenblick löschte Ivalaine die mittlere und Senrael die kurze. Dann sprachen die drei im Chor, ihre Stimmen wurden zu einer.
    »Lasst das Muster gewoben werden.«
    Es begann sofort. Alle waren begierig zu sehen, welche Form das Muster annehmen würde. Die Luft um Lirith vibrierte vor Magie. Sie schloss die Augen und konnte sie sehen: zweihundert schimmernde Fäden, die sich in alle Richtungen ausbreiteten. Einen Augenblick lang zögerte sie – würde er wohl da sein, in den Ecken lauern? Aber sie entdeckte keine Spur von dem dunklen Knäuel, und sie überließ sich den glitzernden

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