Die letzte Schoepfung
dir heute Morgen doch gesagt, dass ich da bin, wenn du kommst.«
»Ach ja, natürlich.« Sydney kam sich töricht vor, wie ein zurechtgewiesenes Kind. Es schien Jahre her zu sein, seit sie zuletzt mit Charles gesprochen hatte. War es wirklich erst heute Morgen gewesen? »Du hast Recht, das hatte ich vergessen.«
»Und unser Dinner auch.«
Sydney warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war nach neun. »Wann hatten wir den Tisch reserviert?«
»Für halb neun.« Er wirkte ein wenig gekränkt, und Sydney wusste, dass sie ihn enttäuscht hatte – leider nicht zum ersten Mal.
»Es tut mir Leid«, sagte sie. »Bin im Labor aufgehalten worden.« Wieder mal. Sie brauchte es gar nicht erst zu sagen; die Worte hingen in der Luft. »Ich weiß ja, dass du schon vor Wochen reserviert hattest.«
Einen Augenblick glaubte sie, er würde seinem Zorn freien Lauf lassen – sie wünschte es beinahe, nur ein einziges Mal. Dann stieß er einen Seufzer aus. »Setz dich. Ich hol dir ein Glas Wein.«
»Charles, wirklich, ich…«
Er hob die Hand, um ihre Widerrede im Keim zu ersticken. »Streite nicht mit mir, Sydney, wenigstens dieses eine Mal nicht.«
»Also gut, dann hole ich jetzt den Besen und feg die Scherben weg.«
Wieder sah sie Missbilligung in seinen Augen. »Setz dich. Ich mach das schon. Du würdest dir nur die Füße zerschneiden.«
Sie wollte widersprechen, hielt sich jedoch zurück. Charles war es gewöhnt, zu befehlen und seine Befehle befolgt zu sehen. Obwohl er es zu verbergen suchte, wusste sie, dass es ihn ärgerte, wenn sie sich weigerte, auf seinen Befehl hin zu springen. Manchmal widersprach sie ihm allein deshalb, weil sie die Einzige zu sein schien, die den Mut dazu aufbrachte.
Aber schön, sollte er sich dieses eine Mal um sie kümmern, wenn es ihn glücklich machte. Immerhin war sie diejenige, die ihm den Abend verdorben hatte. Mit einem Nicken ließ sie sich auf einem der Hocker nieder und sah zu, wie er zuerst neue Gläser holte und den Wein einschenkte, bevor er Besen und Kehrschaufel zur Hand nahm.
»Du scheinst ja völlig erledigt zu sein.« Er kehrte die Scherben auf. »Harten Tag gehabt?«
Sie nippte am Wein und nickte, ließ die angegriffenen Nerven vom Alkohol beruhigen.
»Dr. Mathews?«
»Wer sonst?« Sydney und Tom Mathews fochten einen endlosen Kampf aus. Der Mann war hoffnungslos altmodisch und der Meinung, Frauen hätten in der Gemeinschaft der Wissenschaftler nichts zu suchen. Zu allem Unglück war Mathews ihr unmittelbarer Vorgesetzter.
»Willst du darüber reden?«, fragte Charles. »Du weißt, ich könnte…«
»Nein!«, fiel sie ihm hastig ins Wort.
Charles war sowohl ihr als auch Mathews' Arbeitgeber. Er hatte die Braydon-Laboratorien gegründet und war inzwischen Aufsichtsratsvorsitzender. Die Braydon Labs hatten sich zu einem der führenden Institute auf dem Gebiet der Genforschung entwickelt. Wenngleich Charles sich darin gefiel, den Leuten zu erzählen, er sei nur eine Art Ratgeber, wusste jeder, dass bei Braydon Labs nichts ohne seine Zustimmung geschah. Deshalb genügte ein Anruf von ihm, und Sydneys Probleme mit Tom Mathews würden sich in Luft auflösen.
Charles hatte ihr schon mehrmals angeboten, diesen Anruf zu machen. Er wollte ihr helfen, und allein der Gedanke tat Sydney gut. Aber hier ging es um ihr Leben und ihre Karriere. Sie würde nicht zulassen, dass jemand seine Autorität in die Waagschale warf, um ihr den Weg zu ebnen.
»Charles, bitte«, sagte sie deshalb. »Ich werde alleine mit Tom fertig.«
Sie fürchtete schon eine erneute Diskussion, doch Charles überraschte sie, indem er ein anderes Thema anschnitt. »Also, was hättest du gern zum Essen?«
Nichts, dachte sie im Stillen, wusste jedoch, dass er es nicht hinnehmen würde. »Ich könnte uns schnell ein Omelette machen…«
Seine Miene genügte als Antwort. Sydney war keine begnadete Köchin, dass wussten beide. »Nun, wir können trotzdem ausgehen«, schlug sie vor. »Nicht unbedingt zu La Belle, bloß rüber zu Mario. Da ist in der Woche nie viel Betrieb.«
»Und das aus gutem Grund!«
Sydney stieß einen Seufzer aus. Heute Abend hatte sie für solche Auseinandersetzungen keine Kraft mehr.
Charles und das Essen war ein Thema für sich. Er rühmte sich seiner Feinschmeckerzunge und frequentierte die besten Restaurants in der Stadt, wo er sehen und gesehen werden konnte. Es war seine einzige Leidenschaft, obwohl man es ihm nie angesehen hätte. Er war schlank und kräftig wie ein
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