Die letzte Schoepfung
eine Schwäche für Verlierer. »Vielleicht nicht ihretwegen, aber wie wär's mit einer Hand voll verirrter Kinder? Und vergessen Sie nicht seinen Sohn.«
Rache war ein Motiv, das Morrow nachvollziehen konnte. Avery meinte fast zu sehen, wie die Rädchen im Getriebe seines Hirns ineinander griffen. »Wir wissen doch gar nicht, ob es Ramirez war, der den Jungen getötet hat«, sagte Morrow schließlich.
»Ansonsten wirkt sein Tod aber sehr zufällig.« Achselzuckend lehnte sich Avery im Sessel zurück. »Außerdem kommt es nicht so sehr darauf an, was wir wissen, sondern was Decker glaubt. Er wird sein Versteck verlassen, um den Kindern zu helfen, und dabei wird er es zwangsläufig mit Ramirez zu tun bekommen.« Er lächelte ermutigend, um auch Morrow zu überzeugen. »Und das bedeutet, wir können diese verzwickte Lage für unsere Zwecke nutzen.« Drei Probleme auf einen Streich erledigt: die Ausreißer, Ramirez und Ethan Decker.
Doch Morrow wirkte nicht überzeugt. Wenn es um Decker und Ramirez ging, sah er nicht mehr klar. Die beiden waren Averys Trumpfkarten gewesen zu einer Zeit, als Morrow noch alte Damen um ihre Rentenschecks betrogen hatte, und das nagte immer noch an ihm.
Decker war Avery Cox' bester Offizier gewesen. Cox hatte Decker bei der Operation Desert Storm kennen gelernt, sein Potenzial erkannt und ihn für die Firma verpflichtet. Zu jener Zeit hatte Avery gerade die Leitung der Antiterroreinheit SCTC übernommen und suchte nach geeigneten Leuten. Zwei Jahre später, nach dem üblichen einjährigen Training und einem weiteren Jahr Einzeleinsätze, hatte Avery dem inzwischen erfahrenen Ethan Decker die Führung der besten Rückholeinheit innerhalb der CIA übertragen.
Für Avery war Decker ein ganz besonderer Mitarbeiter gewesen. Stets hatte er ihn geschult und beraten. Dann hatte Deckers Team beim Versuch, Ramirez' zu fassen, den Tod eines Kindes verschuldet, und Decker hatte mit einem kurzen Schreiben den Dienst quittiert. Seitdem war er nicht mehr gesehen worden, als wäre er vom Erdboden verschluckt. Avery hätte Decker die Panne mit Ramirez verzeihen können, aber niemand entfernte sich ohne Erlaubnis aus seiner Truppe. Nicht einmal Ethan Decker.
»Okay, Anna fährt also zu Decker«, meinte Morrow. »Und was soll uns das nützen? Wir wissen ja nicht, wo er steckt.«
»Er wird schon auftauchen.« Zum ersten Mal seit dem Verschwinden der beiden Kinder hatte Avery das Gefühl, dass alles sich zum Guten wendete. »Er hat keine andere Wahl, er war zu lange allein. Er wird Geld brauchen, einen fahrbaren Untersatz und Papiere.«
Morrow bedachte dies einen Moment, dann nickte er. »Okay, ich lasse seine Familie beobachten, seine Freunde, die ehemaligen Kollegen von der Firma und seine alten Kameraden. Und ich lasse überall bekannt machen, dass wir ihn unbedingt finden müssen.«
»Setzen Sie Geld auf seinen Kopf aus – viel Geld, falls nötig –, aber finden Sie Decker.«
»Keine Sorge. Irgendjemand ist bestimmt gierig genug, ihn ans Messer zu liefern.«
»Achten Sie besonders auf seine Exfrau. Es ist wahrscheinlich, dass er dort auftauchen wird.« Avery kannte Decker schon so lange, dass er sich beinahe in ihn hineinversetzen konnte. Diese Frau war sein Schwachpunkt, seine Achillesferse, und Avery hatte keine Skrupel, diese Schwäche auszunutzen.
»Sie wollen ihn tot?«
»Zuerst will ich Danny und Callie, dann lassen wir Ramirez von Decker zur Strecke bringen.« Damit wären zwei Probleme gelöst. »Und dann gehört er Ihnen.« Er stand auf. »In der Zwischenzeit wollen wir mal sehen, was der gute Doktor für uns auf Lager hat. Falls Decker wirklich Kontakt zu den Kindern aufnimmt, könnte uns die Information des Jungen sehr nützlich sein.«
***
Durch eine Scheibe, die von innen verspiegelt war, blickten Avery und Morrow in den Untersuchungsraum, in dem Paul Turner an einem wandmontierten Resopaltisch saß und irgendetwas in ein Krankenblatt eintrug. Die Tür ging auf, und ein gut aussehender Junge kam herein. Avery, der sämtliche Akten der Kinder studiert hatte, ging im Geiste die Fakten über diesen Jungen durch: Adam. Geboren im August 1991. IQ 142. Einer von Turners frühen Erfolgen, doch lange nicht so viel versprechend wie einige der jüngeren Kinder.
»Guten Morgen, Adam«, sagte Turner, ohne vom Blatt aufzublicken. »Setz dich mal auf die Liege, ja?«
Der Junge zögerte zuerst, tat dann aber wie geheißen.
Turner schrieb noch ein paar Minuten weiter, während Adam
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