Die letzte Schöpfung
gewartet und beobachtet, bis seine Geduld sich bezahlt machte. Vor drei Tagen war Anna Kelsey mit zwei Kindern von Haven Island geflohen.
Er überlegte, ob er sie sofort entführen sollte, beschloss jedoch abzuwarten. Wenn die Kinder nicht mitzogen, konnte eine Fahrt mit ihnen riskant werden. Außerdem wusste er noch nicht genau, was er mit ihnen tun oder wie er herausfinden sollte, was sie wussten. Also wartete er ab, was Anna tun würde, wohin sie die Kinder brachte.
Die Verfolgung bereitete ihm einige Probleme. Anna hätte ihn bestimmt abgehängt, hätten die Kinder sie nicht behindert. Mit ihnen war es unmöglich, in einer größeren Stadt unterzutauchen. Doch in der Wüste von New Mexico, auf einer geraden freien Strecke, wo Marco es nicht riskieren konnte, ihr zu dicht zu folgen, hatte Anna ihn abschütteln können.
Als er merkte, dass er Anna verloren hatte, fuhr er einen Teil der Strecke zurück, wobei er auf sie und sich selbst fluchte. Er hatte zu lange gewartet und fürchtete nun, ihre Spur verloren zu haben. Dass er sie kurze Zeit später wieder entdeckte, war pures Glück. Ein zweites Mal würde er diesen Fehler nicht machen.
Marco wollte Antworten, und er würde sie bekommen.
Aber er hätte wissen sollen, dass es nicht so leicht sein würde. Anna hatte die Kinder irgendwo abgeladen und weigerte sich, etwas preiszugeben, selbst als Marco ihr die Pistole an die Schläfe hielt. Kein Hinweis darauf, wer die Kinder waren, warum Anna mit ihnen auf der Flucht war oder wo sie im Augenblick steckten. Also hatte Marco keine Verwendung mehr für Anna gehabt. Und keine Zeit, mit Gewalt Informationen aus ihr herauszuholen. Außerdem hatten sie eine alte Rechnung zu begleichen.
Anna schuldete ihm etwas, und er nahm es.
Anschließend folgte er ihrer Spur, um die niños zu finden. Er wusste ja, dass sie in der Nähe sein mussten. Die Frage war nur, wo?
Dass ein paar Kilometer weiter Ethan Decker auftauchte, hatte Marco nicht sonderlich überrascht. Die Wüste schien ein passendes Versteck für ihn zu sein, und Anna musste von diesem Schlupfwinkel gewusst haben. Außerdem passte es zu Deckers Pfadfinderinstinkt, dass sie die Kinder zu ihm gebracht hatte.
Danach war es nur logisch, den Weg nach Dallas einzuschlagen. Marco hatte Annas Handy als Lockmittel hinterlassen – oder als eine Art Einladung, das hing vom Betrachter ab. Wenn die Kinder oder Annas Leiche Decker nicht aus seinem Schlupfwinkel lockten, musste es dieser Anruf bewirken.
Nun gab es nur noch sie beide. Jeder von ihnen wollte Antworten, um seine Rolle in diesem Spiel zu begreifen. Als nächster Schritt würde Decker vor dem Domizil seiner Exfrau aufkreuzen, um Marco davon abzuhalten, seine Drohung wahr zu machen.
Decker enttäuschte Marco nicht.
Kurz vor Tagesanbruch erschien er in einem altersschwachen Pick-up. Er parkte auf der Straße, ließ sich Zeit mit dem Aussteigen. Beobachtete die Umgebung. Sein Blick blieb lange auf das Parkhaus gegenüber gerichtet, dessen Parkdecks über der Straße aufragten. Marco wäre am liebsten mit der Dunkelheit seiner Umgebung verschmolzen. Einen Moment lang glaubte er schon, Decker habe ihn gesehen oder mit einer Art sechstem Sinn seine Nähe gespürt.
Dann aber wandte Decker sich ab, und Marco atmete wieder befreiter. Selbst jetzt, obwohl jahrelang aus der Übung, war Ethan Decker kein Mann, den man unterschätzen durfte. Unter anderen Umständen wäre er der Jäger gewesen.
Zum Glück besaß Marco immer noch einen Hebel, den er ansetzen konnte. Und er war fest entschlossen, ihn zu benutzen.
Er beobachtete, wie Decker einen Matchsack hinter dem Fahrersitz hervorzog, um den Wagen herumging und die Beifahrertür öffnete. Die Kinder kletterten hinaus.
Marco überlegte, wie Decker den Portier umgehen wollte. Allerdings gab es wohl keinen Wachmann auf der Welt, der gegen Ethan Decker eine Chance hatte.
Als die drei sich dem Haupteingang näherten, beugte Decker sich herab und nahm das kleine Mädchen auf den Arm. Sie kuschelte sich im Halbschlaf an seine Schulter, dann verschwanden alle drei im Haus. Decker wollte also mit zwei schläfrigen Kindern auf die sanfte Tour am Nachtportier vorbeikommen.
Das konnte klappen. Decker hatte die Gabe, in jeder Umgebung so zu wirken, als gehöre er dorthin. Marco an seiner Stelle hätte die Waffe benutzt. Aber was, wenn es diesmal nicht funktionierte? Nun, dachte Marco, trotzdem würde Decker nichts davon abhalten, zu seiner Exfrau vorzudringen und sie vor dem
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