Die Letzte Spur
aus.
»Wir treiben uns nicht herum! Warum musst du alles, alles, was ich tue, immer angreifen? Warum musst du, wenn ich …«
»Ich will nicht diskutieren!«
»Das ist nicht fair! Dad, du bist so was von unfair!«
Es waren an diesem Freitag genau die gleichen Sätze gefallen wie sonst auch. Die Szene hatte auch geendet wie immer: indem Robert in seinem Zimmer verschwand und lautstark die Tür hinter sich zuknallte. Jetzt dröhnte die Stereoanlage, die Bässe wummerten, dass das Haus vibrierte.
Dennis wollte aus seinem Sessel springen. »Ich sage ihm, dass …«
Rosanna, die neben ihm saß, legte die Hand auf seinen Arm und hielt ihn zurück. »Lass. Die Geschichte eskaliert sonst. Lass ihn jetzt einfach mal in Frieden.«
»Es ist rücksichtslos, die Musik derart laut zu spielen!«
»Er baut seinen Frust ab. In einer Viertelstunde gehe ich zu ihm und bitte ihn, etwas leiser zu sein. Das funktioniert dann schon.«
»Frust«, knurrte Dennis, »jetzt erlaubt sich der junge Herr auch noch, frustriert zu sein! Ich hätte in seinem Alter mal …«
»Die Zeiten haben sich geändert, Dennis. Vielleicht solltest du ihm mehr Vertrauen entgegenbringen.«
»Ach ja? Jetzt bin ich wieder schuld, dass wir ständig streiten? Wer benimmt sich denn daneben? Verdammt!« Dennis stand auf, ging aber glücklicherweise nicht zum Zimmer seines Sohnes, sondern nahm sich nur ein Glas aus dem Schrank und schenkte sich einen Whisky ein. »Söhne in der Pubertät sind einfach eine Strafe des Himmels!«
Rosanna hatte gehofft, dass an diesem Abend ausnahmsweise eine gewisse Harmonie gewahrt bliebe, da sie selbst ein heikles Anliegen mit Dennis zu besprechen hatte. Die Ausgangslage war nun denkbar ungünstig. Dennis' Laune befand sich unter dem Nullpunkt, nicht nur wegen des Verhaltens seines Sohnes, sondern auch weil er spürte, dass Rosanna bei allem Bemühen um diplomatischen Ausgleich Roberts Argumenten und seiner Sichtweise aufgeschlossener gegenüberstand als denen seines Vaters.
»Du hast ja am Ende nicht die Verantwortung!«, fauchte er.
Sie zuckte zusammen. »Entschuldige«, sagte sie, »ich hätte mich natürlich nicht einmischen sollen. Du bist der Vater. Ich bin nicht die Mutter. Wenn es darum geht, für Robert zu kochen, seine Wäsche zu waschen, ihm bei den Schularbeiten zu helfen, bei seinen Lehrern um gut Wetter zu bitten oder ihn mitsamt seiner kompletten Computerausrüstung zu einer LAN-Party zu kutschieren, habe ich allerdings immer den Eindruck, dass weder er noch du in dieser Hinsicht so genau differenziert!«
»Ich habe doch gar nicht gesagt, dass du …«
»Doch. Wenn du in den Raum stellst, dass ich am Ende ja nicht die Verantwortung für Robert trage, was rein formal sicher stimmt, dann sagst du mir im Grunde, dass ich mich raushalten soll. Was keineswegs der Fall ist, wenn ich …«
»… wenn du seine Wäsche wäschst oder sonst etwas für ihn tust, ja. Ich weiß. Entschuldige.« Er sah plötzlich erschöpft aus. »Ich habe es so nicht gemeint«, lenkte er ein.
Rosanna war sofort bereit, ihren Teil zur Friedensstiftung beizutragen. »Ich verstehe ja seine Sorgen. Mit sechzehn halten sie sich für erwachsen, aber in Wahrheit sind sie noch halbe Kinder. Man hat einfach Angst um sie.«
Sie konnte Dennis wirklich verstehen. Als sie beide heirateten, war Robert elf Jahre alt gewesen, ein sommersprossiger, liebenswerter Junge, Ergebnis einer Beziehung zwischen einem noch sehr jungen Dennis und einer noch jüngeren Studentin, die sich von dem Kind völlig überfordert gefühlt hatte und es unter keinen Umständen hatte behalten wollen. Sie war erleichtert gewesen, als Dennis das alleinige Sorgerecht übernahm. Vater und Sohn hatten allein gelebt, bis Rosanna in beider Leben getreten war. Für Robert war sie vom ersten Moment an die Mutter, die er nie gehabt hatte. Im Prinzip empfand es auch Dennis so, aber es gab gelegentlich Momente, in denen er die Tatsache, dass juristisch gesehen nur er das Sagen hatte, für seine Zwecke ausnutzte. Anfangs war das praktisch nie passiert, aber seitdem Robert in der Pubertät war und es naturgemäß viel mehr Schwierigkeiten mit ihm gab, kam es häufiger zu derartigen Situationen. Sie belasteten die Beziehung zwischen Dennis und Rosanna weit mehr, als es Dennis bewusst war.
Aber was ist ihm schon bewusst?, fragte sich Rosanna.
Sie litt unter seinem schlechten Verhältnis zu Robert, aber wenn sie ihm das sagte, hörte er nicht hin.
Sie war unglücklich in Gibraltar und
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