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Die letzte Visite

Die letzte Visite

Titel: Die letzte Visite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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einmal anfangen damit.«
    »Und heute ist der Tag. Was treiben Sie
denn immer in Ihrer reichlich bemessenen Freizeit?«
    »Ooch, allerhand. Baden zum Beispiel.
Der See ist prima.«
    »Kann man stehen?«
    »Am Rand.«
    »Nehmen Sie mich mal mit bis zum Rand«,
sagte ich und stand auf. »So werde ich denn allein heute abend den Turm
bevölkern. Gott befohlen!«
    Nach dem Abendbrot wanderte ich
ungefähr eine Stunde im Park herum. Ich entfernte mich zeitweilig vom Weg,
stöberte im Gebüsch herum und versuchte, dem Verlauf der Umfriedungsmauer zu
folgen. Mit der Zeit kam ich mir vor, als wäre ich zehn Jahre alt und spielte
Winnetou. Der Park war stellenweise herrlich verwildert. Als Krönung der
Expedition sah ich eine Eule, die auf einem Ast hockte.
    Ich schlich näher, lautlos, wie ich
hoffte, aber wohl doch nicht lautlos genug. Sie breitete die Flügel aus, erhob
sich schwerfällig und verschwand.
    Danach stieg ich querfeldein den Berg
hoch in Richtung Turm. Die Zweige schabten lästig an meinem Gewand. Ich
erreichte die Lichtung von hinten. Die Sonne war weg. Der Turm stand klobig in
der Dämmerung. Ich hörte die Pumpe laufen, als ich an der Holzpforte vorbeikam.
    Dann nahm ich Stufe um Stufe, wie
gestern, und pumpte meine Bergsteigerlunge tief voll Luft, nachdem ich den
Zinnenkranz erreicht hatte.
    Im Haus waren schon viele Fenster
erleuchtet. Manchmal tönten ganz schwach Stimmen herauf. Es war die übliche
Geschäftigkeit nach dem Abendbrot, wenn der Schlaf noch nicht kommen wollte und
man nicht ins Wirtshaus gehen konnte, um sich müde zu machen.
    Zwischen den Bäumen unter mir bewegte
sich etwas.
    Aha. Die Briefschreiberin. Wie nett,
mich doch zu besuchen.
    Eine Gestalt trat auf den freien Platz.
Ich winkte mit beiden Händen und rief: »Herauf denn, edle Dame! Hier ist der
sich’re Hort vor aller Ungemach!«
    »Ich komme, Herr Ritter!« rief es
kreischend.
    Es war nicht Petra. Es war die Stagg.
    Ich hatte Zeit mich zu sammeln, bis sie
oben war, und begrüßte sie herzlich.
    Sie war leicht außer Atem.
    »Was sehe ich? Ein neuer Turmliebhaber!
Der sogenannte Turmbold! ›Zum Sehen geboren... zum Schauen bestellt!‹«
    »Dem Turme verschworen... gefällt mir
die Welt«, deklamierte ich weiter.
    »Wir kennen unseren Faust!«
    »Sogar den zweiten Teil. Bald wird man
nicht mehr viel sehen können. Mir gefällt es hier oben.«
    »Mir auch.« Sie ließ den Oberkörper in
eine Zinnenlücke fallen. »Leider flattert mein Kreislauf nach jeder
Besteigung.«
    »Aber Gnädigste! Bei dem jugendlichen
Herzen. Was soll ich erst sagen! Grausig gähnt mir schon das Grab.«
    Ohne Zweifel hätten wir noch eine Weile
weitergeblödelt. Aber ich bemerkte, daß Edeltrauds Aufmerksamkeit sich von mir
abgewandt hatte. Sie sah hinunter zum Haus. Ich versuchte, meine Blickrichtung
parallel zu ihrer einzustellen. Dann sah auch ich etwas.
    Die Fenster des oberen Stockwerks, in
dem das Personal wohnte, waren fast sämtlich noch dunkel. Aber hinter zweien,
die von uns aus auf der rechten Seite lagen, war Licht. Ein schmaler Strahl,
wie aus einer Taschenlampe, wanderte durch den Raum, mal als heller Strich, mal
als greller Punkt hinter den Scheiben. »Was ist das? Der Schloßgeist?«
    »Es sieht so aus«, erwiderte Fräulein
von Stagg.
    Der Lichtkegel wanderte weiter hin und
her wie ein glühendes Florett.
    »Irgendwer sucht mit einer Taschenlampe
in der Bude herum«, sagte ich. »Wessen Zimmer ist das?«
    Ihre Schultern hoben sich neben mir.
»Keine Ahnung.«
    Ich hatte auch keine. Ich würde mein
eigenes Zimmer kaum von innen wiederfinden.
    »Die Birne wird ihren Geist aufgegeben
haben.«
    Der Lichtkegel erlosch plötzlich, und
die Scheiben glänzten dunkel und leblos.
    »Weg! In was für ein Gespensterhaus bin
ich geraten!«
    Wir warteten noch eine Weile. Das Licht
kam nicht wieder.
    Fräulein Stagg erhob ihre Hand und
erlegte mit sicherem Schlag eine Mücke auf dem anderen Handrücken.
    »Ein feindlicher Hubschrauber«, sagte
ich.
    »Ja. Es wird unangenehm. Kommen Sie mit
runter?«
    Ich nickte.
    Wir hoben die Füße vorsichtig über die
Wendeltreppe und waren kurz darauf wieder im Wald. Es roch wunderbar nach
botanischem Garten mit allen Zutaten.
    »Gehen Sie noch ins Kasino?«
    »Heute abend nicht mehr«, antwortete
ich. »Es trifft mich hart, aber ich muß langsam mal anfangen, mich um die alten
Befunde der Leute zu kümmern. Wenn der Chef plötzlich zur Visite erscheinen
sollte, habe ich davon so viel Ahnung wie vom

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