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Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)

Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)

Titel: Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberly McCreight
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hatten ihre Eltern geahnt, dass nach Amelias Tod kein Kontrollmechanismus mehr wirksam sein würde, und hatten klugerweise ein paar Tage verstreichen lassen, ehe sie nach Brooklyn gekommen waren. So hatten sie nicht miterlebt, wie Kate sich die Arme aufgekratzt hatte, bis sie bluteten, und so heftig geschluchzt hatte, bis in ihrem Gesicht Äderchen geplatzt waren. Und sie waren auch ziemlich schnell wieder abgereist, vermutlich, nachdem ihnen klar geworden war, dass Kate sich nicht in absehbarer Zeit in den Griff bekommen würde.
    Seitdem ihre Eltern weg und ihre Freunde zu ihren Familien zurückgekehrt waren, war Kate allein. So wie sie es vor Amelia auch immer gewesen war.
    Zwei Wochen lang hatte sie in ihrem gespenstisch stillen Haus gesessen, überwältigt von Trauer und Schuld, und sich gefühlt, als würde ihr die Haut in Streifen vom lebendigen Leib gerissen. Sie hatte an die Decke gestarrt und geweint, bis sie völlig ausgebrannt war. Sie hatte sich ausgemalt, wie ihr Leben ohne Amelia sein würde: nichts als unerklärliche Leere. Nur sie. Allein. Für immer.
    In den Nächten, in denen es ihr tatsächlich gelang zu schlafen, träumte sie, sie würde stürzen– vom Dach der Grace-Hall-Schule, aus einem Fenster in der Kanzlei, von der Treppe in ihrem Haus–, aber kurz bevor sie auf dem Boden aufschlug, fuhr sie jedes Mal aus dem Schlaf. Und jeden Morgen, wenn sie aufwachte, zog es sie ins oberste Stockwerk ihres Hauses, wo sie ein Fenster aufriss und sich, die Hände an den Fensterrahmen geklammert, hinauslehnte und nach unten starrte. Nicht dass es Bestrafung genug gewesen wäre zu sehen, was Amelia in den letzten Minuten ihres Lebens gesehen hatte. Keine Bestrafung würde jemals ausreichen.
    Denn es war natürlich Kates Schuld, dass Amelia tot war. Dass sie sich umgebracht hatte. Es war die Aufgabe einer Mutter, ihr Kind zu beschützen, sogar vor sich selbst. Und Kate hatte auf der ganzen Linie und auf schreckliche Weise versagt.
    Sie dachte oft daran, sich auch das Leben zu nehmen. Überlegte, wie sie es anstellen würde– Beruhigungstabletten–, wo– im Bett– und wann– sofort. Die Überzeugung, dass sie für ihr katastrophales Versagen bezahlen musste, indem sie mit ihrer Schuld lebte, war der einzige Grund, warum sie es bisher nicht getan hatte. Kate hatte beschlossen, wieder zu arbeiten, als sie es nicht mehr ertragen konnte, dazuhocken und darauf zu warten, dass sie langsam vor die Hunde ging.
    Und so stand Kate jetzt in einem der zahlreichen Empfangsbereiche der namhaften Kanzlei Slone & Thayer– vier Wochen, zwei Tage und sechzehn Stunden nach Amelias Sprung vom Dach der Schule– und fragte sich, wie es möglich war, dass sie sich je dafür interessiert hatte, was sich in diesen Räumlichkeiten abspielte. Denn es interessierte sie nicht. Nicht mehr. Nicht im Geringsten. All das war ihr nun völlig egal.
    Hinter Kate kündigte sich mit einem Klingelton ein Aufzug an. Sie stürzte in Richtung ihres Büros, ehe jemand aussteigen konnte. Als sie um die Ecke hastete, ging in einem Zimmer am anderen Ende des Korridors das Licht an. Sie hätte wissen müssen, dass jemand da sein würde, egal, wie früh sie kam. In einer Kanzlei wie Slone & Thayer war immer jemand da.
    » Hey! « , rief ein Mann, als sie gerade ihre Tür aufreißen wollte. Vor Schreck ließ Kate ihre Schlüssel fallen. Ausgerechnet Daniel Moore. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass er es war. Er war der Letzte, dem sie jetzt begegnen wollte. Er beeilte sich, ihren Schlüsselbund aufzuheben, ehe sie dazu kam, sich danach zu bücken. » Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich war nur– überrascht, dich hier zu sehen. Ich dachte, du wolltest eine Zeitlang von zu Hause aus arbeiten. «
    Er klang enttäuscht, versuchte jedoch, es sich nicht anmerken zu lassen. Kate wunderte sich nicht. Ein Juniorpartner weniger war ein Konkurrent weniger. Nicht, dass die Dinge zwischen ihnen so simpel gewesen wären. Seit sie sich gleich in der ersten Woche ihres Jurastudiums an der Columbia University kennengelernt hatten, war ihr Verhältnis abwechselnd bestimmt von distanziertem Respekt, offener Feindseligkeit und noch etwas anderem– etwas furchtbar Demütigendem–, das lange zurücklag und das sie immer wieder zu vergessen versuchte. Erstaunlicherweise gelang ihr das meistens. Aber jetzt tauchte diese alte hässliche Geschichte plötzlich wieder vor ihr auf.
    » Mir ist zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen– ich musste

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