Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
laut auszusprechen, war ungeheuerlich. Kate umklammerte das Telefon so fest, dass sie fast fürchtete, es würde zerbrechen.
» Mom? «
» Ja, Liebes? « Gretchen klang unglaublich selbstzufrieden. Als wäre es ein Akt der Nächstenliebe gewesen, Kate zu dieser brutalen Einsicht zu verhelfen. » Warte mal einen Moment. « Im Hintergrund waren Stimmen zu hören. » Lee ist gerade reingekommen. Auf der anderen Leitung ist ein Journalist von der Times, der mich sprechen will. Offenbar habe ich mich zu irgendeinem Interview bereit erklärt. Ich kann mich nicht mal erinnern, um welches Thema es geht. « Sie lachte affektiert. » Jedenfalls, was wolltest du eben sagen? «
» Du kannst mich mal, Mom « , sagte Kate ruhig. » Das wollte ich sagen: Du kannst mich mal kreuzweise. «
Kate legte ihr Telefon vorsichtig ab und betrachtete es. Sie wartete darauf, dass es explodierte. Nichts geschah. Sie fühlte sich befreit, und gleichzeitig war es ihr seltsam peinlich, dass sie so lange gebraucht hatte, um sich gegen Gretchen zu behaupten, um ihrer Mutter die Meinung zu sagen. Aber Kate war nicht länger bereit, es irgendjemandem recht zu machen, immer lieb und nett und höflich zu sein. Sie hatte die Nase voll davon, ewig das brave Mädchen zu spielen.
Sie atmete lange und tief aus und ließ die Schultern sinken. Ihr Computer war endlich hochgefahren, ihr E-Mail-Programm geöffnet. Es waren nur ein paar neue Nachrichten eingegangen, seit sie am Abend zuvor von zu Hause aus nachgesehen hatte, viel weniger als vor Amelias Tod. Bestimmt würden die Leute ihre Rückkehr in die Kanzlei als Signal verstehen, dass sie aufhören konnten, sie mit Samthandschuhen anzufassen. Andererseits war Kate froh, sich wieder in die Arbeit stürzen zu können, auch wenn die Arbeit ihr nichts mehr bedeutete. Sie starrte immer noch auf ihren Mail-Eingangsordner, als ihr Handy verkündete, dass eine SMS eingegangen war.
» Jetzt geht’s los « , murmelte sie, während sie ihr Handy aus der Handtasche kramte.
Gretchen würde sich niemals ungestraft sagen lassen, sie könne einen mal kreuzweise.
Endlich fand Kate ihr Handy und nahm es aus der Tasche. Sie las die SMS .
Amelia ist nicht gesprungen.
Kate kniff die Augen zu. Nein, sie musste sich verlesen haben. Das war unmöglich. Sie kniff die Augen noch fester zu, dann machte sie sie wieder auf. Aber als sie auf das Display schaute, war die SMS immer noch da. Amelia ist nicht gesprungen. Sie las die Nachricht noch drei Mal, die Worte blieben jedoch dieselben. Mit klopfendem Herzen legte sie das Handy mitten auf ihren Schreibtisch. Dann rollte sie mit dem Stuhl ein Stück weit nach hinten, damit sie das Handy aus sicherer Entfernung betrachten konnte.
Bitte, war alles, was sie denken konnte. Bitte, tut mir das nicht an. Bitte quält mich nicht.
Warum sollte sich jemand einen so üblen Scherz erlauben? Und wer konnte das sein? Vor lauter Verblüffung war Kate gar nicht auf die Idee gekommen nachzusehen, wer ihr die SMS geschickt hatte. Sie beugte sich gerade über ihren Schreibtisch, um zu sehen, wer der Absender war, als es an ihrer Tür klopfte. Sie schoss hoch.
» Was in aller Welt machen Sie denn hier? « , fragte Kates Sekretärin Beatrice. Sie starrte Kate an, als wäre sie eine Erscheinung. » Ich war schon drauf und dran, den Sicherheitsdienst anzurufen, als ich bei Ihnen Licht gesehen habe. Was machen Sie hier? «
» Gott, haben Sie mich erschreckt « , japste Kate, eine Hand an der Brust.
» Das sehe ich. « Beatrice betrachtete Kate mit großen Augen von oben bis unten; offenbar war sie nicht gerade begeistert. Die Sekretärin, sechsfache Mutter, behandelte Kate und ihren anderen Chef, als wären sie ebenfalls ihre Kinder. » Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass Sie mindestens noch sechs Wochen lang von zu Hause aus arbeiten. Jeremy hat doch hoffentlich nicht einen seiner üblichen Sprüche losgelassen, von wegen Sie-sind-mein-bestes-Pferd-im-Stall und so weiter? Denn ich schwöre Ihnen, wenn er das… «
» Jeremy hat mich nicht hergebeten. « Kate schüttelte den Kopf. » Ich musste einfach aus dem Haus. «
» Und deswegen sind Sie ausgerechnet hierher gekommen? « , fragte Beatrice. » Zur Arbeit? «
» Ich wusste nicht, wohin ich sonst hätte gehen sollen. « Kate warf einen Blick zu ihrem Handy hinüber. Einen Moment lang war sie versucht, Beatrice von der SMS zu erzählen, doch es schien ihr übereilt. Sie hoffte immer noch, es würde sich herausstellen, dass
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