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Die letzte Walstatt - Covenant 03

Die letzte Walstatt - Covenant 03

Titel: Die letzte Walstatt - Covenant 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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versinken, der tief genug war zum Träumen.
    Aber während des ganzen Verfahrens unternahm er nichts zur Behandlung seiner Krankheit. Er vernachlässigte seine VBG – die Visuelle Beobachtung der Gliedmaßen, von der sein ganzer Kampf gegen die Leprose abhing – und andere Selbstschutzgewohnheiten, als hätten sie für ihn nicht länger irgendeine Bedeutung. Er verzichtete auf die Medizin, die einst die Ausbreitung seines Leidens zum Stillstand gebracht hatte. Seine Stirn eiterte; Kälte und Taubheit krochen langsam in den Nerven seiner Hände und Füße aufwärts. Er fand sich mit diesen Dingen ab, mißachtete die Gefahr. Ihm gebührte es so; er verdiente es. Nichtsdestoweniger verfiel er an jedem Abend in die gleiche todesmütige Stimmung. In der Düsternis des Dämmerlichts wuchs seine Sehnsucht nach Menschen bis ins Unerträgliche an; sie trieb ihn unter Zähneknirschen und mit Schaum vorm Mund nach draußen, in die Dunkelheit außerhalb des Lichtscheins aus den Häusern der Ortschaft. Abend um Abend machte er den Versuch, sich zur Tür so eines Heims, irgendeines solchen Heims zu wagen. Aber nie brachte er genug Mut auf, um sich den Lichtern zu nähern. Menschen, die sich nur einen Steinwurf weit von ihm entfernt aufhielten, blieben für ihn so unnahbar, als bewohnten sie eine andere Welt. Jeder Abend warf ihn zurück in die Umgebung der unvermindert harten Seiten seines Daseins in Schwäche – und das schmerzhafte Pochen, das ihm durch den ganzen Schädel pulste, während sich die Entzündung an seiner Stirn ausweitete.
    Elena war durch seine Schuld umgekommen. Sie war seine Tochter gewesen, und er hatte sie geliebt. Und doch hatte er sie in den Tod gehen lassen.
    Sie hatte niemals überhaupt existiert.
    Er fand für diesen Widerspruch keine Lösung.
    Dann zerbrach am Donnerstag abend die Gleichförmigkeit seines stetigen Herunterkommens. Während seines ohnmächtigen Umhergeisterns vernahm er plötzlich inmitten von Finsternis und Wind fremde Laute. Ein Ton schwoll und sank wie eine Stimme im Gebet, und zwischen dem, was wie Strophen klang, hörte er Singen. Durch ihre Körperlosigkeit im abendlichen Dunkel wiesen die zerfaserten Stimmen klagende Untertöne auf, als handle es sich um einen Aufruf zur Versammlung verdammter Seelen. Wortvorträge und Chor wechselten einander düster ab. Elena war Sängerin gewesen, Tochter einer Familie von Sangesfreudigen. Covenant tastete sich einen Weg durch den nächtlichen Rand der Ortschaft, folgte den herzzerreißend traurigen Klängen der Musik. Er gelangte über die Häuser hinaus, umrundete den Ort und schritt die Landstraße hinunter, die zu der kahlen Wiese führte, wo die Gemeinde bei patriotischen Anlässen Aufmärsche veranstaltete. Ein paar Leute eilten dorthin, als seien sie spät dran, und Covenant mied sie, indem er sich abseits der Landstraße hielt. Als er die Veranstaltungswiese erreichte, sah er, daß man in ihrer Mitte ein riesiges Zelt aufgeschlagen hatte. Die Seiten des Zelts waren aufgerollt, so daß man unter dem Segeltuchdach den lebhaften Schein propangasgespeister Laternen erkannte.
    Das Zelt war voller Menschen. Gerade ließen sie sich nach gemeinsamem Gesang wieder auf Bänke nieder, und währenddessen führten mehrere Platzanweiser Spätankömmlinge zu den letzten freien Sitzen. Die Bänke standen in dichten Reihen einem breiten Podium an der Vorderseite des Zelts zugewandt; dort saßen drei Männer hinter einer ungefügen Kanzel, und hinter ihnen stand ein behelfsmäßiger Altar, mit nachlässiger Hast aus Kiefernbrettern zusammengehämmert, kümmerlich geschmückt mit ein paar schiefen Kerzen und einem glanzlosen, verbeulten Kreuz aus Gold. Als die Besucher sich wieder auf die Bänke setzten, erhob sich einer der Männer auf dem Podium – ein untersetzter, fleischiger Mann in schwarzem Anzug und weißem Hemd – und betrat die Kanzel. »Laßt uns beten«, sagte er mit unwiderstehlich klangvoller Stimme. Alle Anwesenden neigten die Köpfe. Covenant hatte sich schon angeödet zum Gehen wenden wollen, aber die stille Zuversicht im Tonfall des Mannes hielt ihn zurück. Widerwillig hörte er zu, während der Mann, die Hände auf der Einfassung der Rednerkanzel gefaltet, leise betete. »Gütiger Jesus, unser Herr und Heiland, wir bitten Dich, schau herab auf die Seelen, die sich hier versammelt haben. Schau in diese Herzen, Herr – sieh den Schmerz und die Pein, die Einsamkeit und die Trauer ... ja, und sieh die Sünde ... und sieh den Hunger

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