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Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Die letzten Gerechten: Roman (German Edition)

Titel: Die letzten Gerechten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Verfolgung– in Spanish Leeds Zuflucht gefunden hatten, bis sie dann weitergezogen waren und die antagonistische Stadt am Salzsee gegründet hatten. Hier an der Mauer waren sie alle versammelt– dreißig Fuß hohe Reliefs der Männer, die bis zum grausigen Tod gegen die Erlöser gekämpft hatten und von denen Cale doch noch nie gehört hatte: Butzer, Hus und Philip Melanchthon, Menno Simons, Zwingli, Hans Hut und die reichlich unglücklich aussehenden Brüder Mosarghu. Wer waren diese Riesen hier vor ihm, und woran um Gottes willen hatten sie geglaubt? Es war ihm fast unmöglich, sich vorzustellen, dass den Erlösern solche Ablehnung entgegengeschlagen war. Cale ging weiter durch den Park; er fühlte sich noch ferner, noch weiter der Ebene des Glücks und der Freude an der Sonne und an sich selbst enthoben, das die gewöhnlichen Menschen um ihn herum in einer Woche oder in einem Monat oder den ganzen Sommer lang empfinden mochten. Und nun musste er den Park wieder verlassen, hinaus durch die großen gusseisernen Flügeltore an der Nordseite, um dann außen am Park entlangzugehen, bis er zu seiner Unterkunft gelangte. Inzwischen war er so müde, so ausgelaugt und so unendlich erschöpft, wie er es noch nie im Leben gewesen war. Langsamer, immer schleppender schlurfte er die Straße entlang, als alterte er mit jedem Schritt um ein ganzes Jahr, und es war viel schlimmer als normale Müdigkeit. Er fühlte sich, als sei er schon seit tausend Jahren unterwegs, ohne sich setzen zu dürfen, ohne Ruhe oder Frieden, nichts als Kampf und Furcht vor dem nächsten Schlag. Sein Herz lag so schwer in seiner Brust, dass es ihn schier zum Stillstand zwang. Wie war es möglich, all dies fühlen zu müssen und dennoch am Leben zu bleiben? Inzwischen war er am Westtor angekommen; er blieb stehen und stützte den Kopf gegen die Mauer, und sein Schweiß nässte den Sandstein.
    »Alles in Ordnung, mein Junge?« Doch er hatte nicht mehr die Kraft zu antworten. Später konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie er nach Hause gelangt war und wie er die Tür aufgeschlossen hatte, nur noch daran, dass er auf dem Bett lag und nach Luft schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Doch dann überkam es ihn– ein Erdbeben in seinem Gedärm, ein gewaltiges Schütteln, ein völliger Zusammenbruch und schließlich das Bersten. Sein Inneres, Fleisch und Seele gemeinsam, ergoss sich aus ihm, und so gewaltsam war der Ausbruch, dass er glaubte, die Seele würde ihm bei lebendigem Leib aus dem Gedärm fahren, ein einziger, grauenhafter Schmerz von Tränen und Aufruhr. Er stürzte zur Latrine und würgte und würgte, aber nichts kam heraus, und so ging es stundenlang weiter. Als er schließlich wieder ins Bett kroch, krümmte er sich zusammen und weinte, doch nicht wie ein Kind oder Erwachsener, und es hatte auch nichts mit dem befreienden Ausbruch zu tun. Und gerade als er dachte, oder was auch immer man denken nennen konnte, dass das Aufbrüllen namenloser und tränenloser Schmerzen niemals enden würde, drehte er sich plötzlich auf den Rücken und begann zu lachen und lachte stundenlang ohne Ende. Und er lachte noch, als Vague Henri ihn endlich fand, kurz vor der Morgendämmerung, und lachte und würgte und weinte.

EINUNDDREISSIGSTES KAPITEL
     

    E
ine Woche lang hielten sie ihn im Zimmer, aber er erholte sich nicht. Manchmal schlief er zwölf Stunden oder mehr am Stück, wachte aber dennoch erschöpft, mit dunklen Ringen unter den Augen und blassen Lippen auf, beherrscht von einer unendlichen Müdigkeit, die ihn alsbald wieder einschlafen ließ. Dann trat eine Pause von drei oder vier Stunden ein, in der er nur zusammengekrümmt auf der Seite lag, bis das Würgen abermals einsetzte– ein grauenhaftes Geräusch, das eher so klang, als versuchte ein riesiges Tier, etwas äußerst Giftiges auszustoßen, das es gefressen hatte. Das entsetzliche Lachen hörte nach ein paar Tagen auf– Cale selbst brachte das keine Erleichterung, wohl aber denen, die es mit anhören mussten. Cale würgte weiter, und obwohl er manchmal weinte, brachten ihm die Tränen keinen Frieden und keine Befreiung. Und bald versiegten auch die Tränen. Das Würgen ging weiter, obwohl er nie etwas ausspuckte und obwohl er mit genügend Appetit aß und trank. Nach einer Woche stellte sich ein furchtbares Ablaufmuster ein: stundenlanger Schlaf, der kein Ausruhen brachte, gefolgt von einem hungrigen Hinunterschlingen des Essens, dann wieder die Würganfälle, die eine Stunde lang

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