Die letzten ihrer Art
die USA hinter mir, und so reagierte ich, als ich mich jetzt auf dem Betonboden einer spinnenverseuchten Hütte mitten im Dschungel wiederfand – merkwürdig, aber wahr –, mit grenzenloser Erleichterung. Die Wochen sinnbetäubenden American-Express-Lebens fielen von mir ab wie Schlamm unter der Dusche, und ich konnte mich zurücklehnen und dem Genuß hingeben, es auf wunderbare, gelassene, scheußliche Art unbequem zu haben. Mark entging das offenbar, denn als er mir meine Schlafstelle auf dem Boden zeigte, war er anfangs ziemlich besorgt – »Äh, wird das gehen? Eigentlich sollten hier Matratzen liegen... mmh, sollen wir dir den Beton ein bißchen aufschütteln?« –, und ich mußte immer wieder sagen: »Das verstehst du nicht. Das hier ist toll, es ist herrlich. Darauf hab ich mich seit Wochen gefreut.«
In Wirklichkeit konnten wir uns natürlich nicht zurücklehnen. Das Aye-Aye ist ein nachtaktives Tier und trifft keine Verabredungen bei Tageslicht. Die wenigen Aye-Ayes, von deren Existenz man 1985 wußte, fand man (obwohl man sie normalerweise nicht findet) auf einer an der nordöstlichen Küste von Madagaskar gelegenen kleinen, idyllischen Regenwaldinsel namens Nosy Mangabé, auf die man die Aye-Ayes zwanzig Jahre zuvor umgesiedelt hatte. Es war ihr letzter Zufluchtsort, und hätte Mark uns nicht eine Sondergenehmigung der Regierung besorgt, hätten wir die Insel genausowenig betreten können wie jeder andere. Dort stand unsere Hütte, und dort droschen wir uns Nacht um Nacht, bewaffnet mit kleinen, schwachen Taschenlampen (die großen, stärkeren, die wir mitgebracht hatten, befanden sich unter dem »unnützen« Gepäck, das wir im Antananarivo Hilton abgeladen hatten), bei sintflutartigen Regenfällen einen Weg durch den Regenwald, bis... wir das Aye-Aye fanden.
Das war das Außergewöhnliche. Wir fanden dieses Geschöpf nämlich wirklich. Wir bekamen es zwar nur für ein paar Sekunden zu Gesicht, als es einige Meter über unseren Köpfen langsam über einen Ast kroch und mit gleichgültigem Unverständnis durch den Regen auf die merkwürdigen Wesen dort unten heruntersah, aber trotzdem war das einer jener Augenblicke, die einen restlos und nachhältig durcheinanderbringen.
Warum?
Weil ich, wie mir später aufging, ein Affe war, der einen Lemur anstarrte.
Indem wir mit einer 747 von New York und Paris nach Antananarivo und in einer alten Propellermaschine nach Diégo-Suarez geflogen und in einem noch älteren Laster zum Hafen von Maroantsetra gefahren waren, in einem Boot, das so alt und baufällig war, daß man es kaum mehr von Treibholz unterscheiden konnte, nach Nosy Mangabé übergesetzt hatten und schließlich nachts durch den uralten Regenwald gewandert waren, hatten wir sozusagen eine Zeitreise durch alle zurückliegenden Stufen unserer Zweig-Technologie-Forschungen unternommen, bis hin zu jener Umgebung, aus der wir die Lemuren ursprünglich vertrieben hatten. Und dort oben saß einer der letzten Überlebenden dieser Art und betrachtete mich mit, wie ich es nennen würde, gleichgültigem Unverständnis.
Am nächsten Tag saßen Mark und ich in der Morgensonne auf den Stufen vor der Hütte, machten uns Notizen und diskutierten Einfälle für den Artikel, den ich für den Observer über die Expedition schreiben sollte. Mark erklärte mir die Geschichte der Lemuren bis ins Detail, und ich sagte ihm, darin liege für mich eine gewisse Ironie. Für die Lemuren war Madagaskar ein Affen-freier, von Afrika abgetrennter Zufluchtsort gewesen, und jetzt mußte Nosy Mangabé als Affen-freier, von Madagaskar abgetrennter Zufluchtsort dienen. Die Zufluchtsorte wurden immer kleiner, und nun saßen die Affen auch schon auf diesem herum und machten sich Notizen darüber.
»Der Unterschied«, sagte Mark, »besteht darin, daß der erste Affenfreie Zufluchtsort zufällig entstanden ist. Der zweite wurde von den Affen selbst eingerichtet.«
»Folglich muß man wohl fairerweise einräumen, daß die Zunahme unserer Intelligenz uns nicht nur größere Macht, sondern auch ein größeres Verständnis für die Auswirkungen dieser Macht verliehen hat. Dadurch haben wir die Fähigkeit erworben, unsere Umgebung zu beherrschen und darüber hinaus auch uns selbst.«
»Tja, bis zu einem gewissen Grad schon«, sagte Mark. »Bis zu einem gewissen Grad. Im Moment leben auf Madagaskar einundzwanzig Lemurenarten, von denen das Aye-Aye als die seltenste gilt, also mit anderen Worten am dichtesten vor dem Aussterben steht. Vor einiger
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