Die letzten ihrer Art
Süßkartoffel. Dazu fällt mir eigentlich nichts mehr ein.
Seufzend legt er die Süßkartoffel zurück auf den Boden.
»Wir nennen diese Stelle Kakapo-Castle«, sagt er und blinzelt uns in dem kalten, grellen Sonnenlicht an. »Es ist die letzte bekannte Stelle auf dem neuseeländischen Festland, an der ein Kakapo gebalzt hat. Diese flache Vertiefung in der Erde gehört zu einem ›Track and bowl system‹.«
Ich erkläre gleich, was ein »Track and bowl system« nun eigentlich ist. Zu sehen ist an der Stelle nicht mehr als eine grob in den Boden geschabte Vertiefung. Sie ist unordentlich und ein bißchen überwuchert. Als ich wieder die uns umgebende atemberaubende Landschaft betrachte, komme ich plötzlich nicht mehr ganz mit. Wir waren so weit in dieses unermeßliche, überwältigende Land hineingeflogen, und das alles nur, um diese kleinen, armseligen Kratzer im Boden und kein Ei zu finden. Bloß eine Kartoffel.
Ich mache eine lahme Bemerkung in dieser Richtung. Mark runzelt die Stirn, und Dons Gesichtsausdruck verfinstert sich.
»O nein«, sagt Don, »ich hatte kein Ei erwartet. Kein Ei. Nicht hier. O nein, ganz und gar nicht.«
»Oh«, sage ich. »Als Sie die Kartoffel aufgehoben haben, dachte ich ...«
Mark raunt mir aus dem Mundwinkel zu: »Das hat Don uns doch alles im Hubschrauber erklärt.«
»Im Hubschrauber habe ich nichts verstanden.«
»Sehen Sie, in einem ›Track and bowl system‹ findet man keine Eier«, sagt Don geduldig. »Das ist nur der Balz- und Paarungsbereich. Ich habe die Süßkartoffel selbst hineingelegt, als ich zuletzt hier war, im vorigen Jahr. Wenn ein Kakapo in diesem Gebiet wäre, hätte er die Kartoffel gegessen.« Er hebt sie auf und reicht sie mir.
»Sehen Sie selbst, kein einziger Abdruck. Nicht die kleinste Bißstelle. Außerdem hätte er seinen Balzplatz gestutzt und gesäubert. Kakapos sind sehr akribische Vögel. Wir wissen nicht, was mit dem letzten in diesem Gebiet passiert ist. Kann sein, daß er getötet wurde, möglicherweise von einer Katze. Wir nehmen an, daß sie manchmal so weit heraufkommen. Fjordland ist voll von Katzen, und das bedeutet nichts Gutes für den Kakapo. Obwohl wahrscheinlich nicht alle Katzen auf einen Kakapo losgehen würden. Einige werden versucht haben, einen Kiwi anzufallen – erfolglos –, und infolgedessen vermutlich lieber einen weiten Bogen um Kakapos machen. Andere könnten es versucht und herausgefunden haben, daß man es schafft, und es wieder getan haben. Kakapos sind es grundsätzlich nicht gewohnt, sich zu verteidigen. Sie erstarren einfach, wenn sie eine Katze näherkommen sehen. Obwohl sie kräftige Beine und Krallen haben, verteidigen sie sich nicht damit. Ein Kiwi hingegen prügelt eine Katze in der Regel grün und blau. Weil Kiwis auch miteinander kämpfen. Wenn man zwei in einen Käfig setzt, ist einer von beiden am nächsten Morgen tot.
Der Kakapo kann auch einfach an Altersschwäche gestorben sein. Wir wissen nicht, wie lange sie leben, obwohl sie allem Anschein nach sehr alt werden. Vielleicht so alt wie Menschen. Aber so oder so ist der Kakapo nicht mehr hier, das dürfte wohl feststehen. Jetzt gibt es im ganzen Fjordland keine Kakapos mehr.«
Trotzdem nimmt er mir die Kartoffel wieder ab und legt sie als letzten Ausdruck eines hoffnungslosen Optimismus behutsam wieder an den Rand der Schüssel.
Bis vor relativ kurzer Zeit – jedenfalls nach evolutionären Maßstäben – bestand die neuseeländische Tierwelt fast ausschließlich aus Vögeln. Nur Vögel konnten den Ort erreichen. Die Vorfahren vieler jetzt dort heimischer Vögel waren ursprünglich hierhergeflogen. Es gab auch noch ein paar Fledermausarten, die Säugetiere sind, aber – und das ist der entscheidende Punkt – es gab keine Räuber. Keine Hunde, keine Katzen, keine Frettchen oder Wiesel, nichts, vor dem die Vögel hätten flüchten müssen.
Und natürlich ist das Fliegen ein Mittel zur Flucht. Es ist ein Überlebensmechanismus, und zwar einer, den die neuseeländischen Vögel nicht unbedingt zu brauchen glaubten. Fliegen ist harte Arbeit und kostet eine Menge Energie.
Und nicht nur das. Auch zwischen dem Fliegen und dem Essen besteht eine enge Verbindung. Je mehr man ißt, desto schwerer fällt einem das Fliegen. Also passierte es immer häufiger, daß die Vögel, statt einen kleinen Snack zu sich zu nehmen und anschließend wegzuflattern, sich zu einem eher umfangreicheren Mahl niederließen und danach ein bißchen spazierenwatschelten.
Als dann
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