Die letzten ihrer Art
rostiger alter Dampfboote, Frachtschiffe, riesiger Fähren, Passagierdampfer und Barkassen aufgewühlt.
»Im Wasser muß es ununterbrochen zugehen wie im Irrenhaus«, sagte ich zu Mark.
»Was?«
»Ich habe gesagt, daß es zwar schon hier bei diesem Krach von der Band schwierig ist, sich zu unterhalten, aber im Wasser ununterbrochen wie im Irrenhaus zugehen muß.«
»Hast du deswegen die ganze Zeit dagesessen und nachgedacht?«
»Ja.«
»Hab mich schon gefragt, warum du so still bist.«
»Ich hab mir vorzustellen versucht, wie man sich als Blinder fühlen würde, der versucht, in einer Disco zu wohnen.
Beziehungsweise in mehreren konkurrierenden Discos.«
»Es ist sogar noch schlimmer«, sagte Mark. »Die Delphine brauchen Töne, um sich zu orientieren.«
»Na gut, dann ist es also wie bei einem Tauben, der in einer Disco wohnt.«
»Wieso?«
»All diese Stroboskoplampen und Lichtorgeln und Spiegel und Laser und so weiter. Ununterbrochen verwirrende Informationen. Nach ein, zwei Tagen würde man restlos konfus und desorientiert anfangen, über die Möbel zu stolpern.«
»Stimmt, und genau das passiert ja auch tatsächlich. Die Delphine werden dauernd von Booten gerammt oder geraden in deren Schrauben oder verheddern sich in Fischernetzen. Normalerweise findet der Delphin mit Hilfe seiner Echopeilung sogar einen kleinen Ring auf dem Meeresboden, also muß die Lage schon ziemlich ernst sein, wenn er nicht mal mehr merkt, daß er kurz davor steht, ein Boot über den Schädel gezogen zu kriegen.
Und dann sind da natürlich auch noch die Abwässer, die Chemie- und Industrieabfälle und die Kunstdünger, die in den Fluß geleitet werden und das Wasser genauso vergiften wie den Fisch.«
»Also«, sagte ich, »was tut man, wenn man entweder halb blind oder halb taub ist, in einer Disco mit Stroboskop-Light-Show lebt, in der die Abwasserrohre überquellen, einem ständig die Decke und die Ventilatoren auf den Kopf fallen und das Essen schlecht ist?«
»Ich glaube, ich würde mich bei der Geschäftsleitung beschweren.«
»Das können sie nicht.«
»Nein. Sie müssen warten, bis die Geschäftsleitung es selbst merkt.«
Etwas später schlug ich, sozusagen als Vertreter der Geschäftsleitung, vor, wir sollten versuchen, uns anzuhören, wie der Yangtse wirklich unter der Wasseroberfläche klang – ihn also aufnehmen. Da uns das erst jetzt einfiel, hatten wir unglücklicherweise kein Unterwasser-Mikrofon dabei.
»Tja, eins könnten wir machen«, sagte Chris. »Es gibt eine BBC-Standardmethode, Mikros im Notfall wasserdicht zu machen. Man nimmt das Mikrofon und stopft es in ein Kondom. Hat einer von euch beiden Kondome dabei?«
»Äh, nein.«
»Und in euren Kulturbeuteln lungern auch keine rum?« »Nein.«
»Tja, dann sollten wir wohl besser einkaufen gehen.«
Von diesem Zeitpunkt an begann ich in Klangbildern zu denken. In China gibt es zwei unverwechselbare Klänge, drei, wenn man Richard Clayderman mitzählt.
Der erste ist Spucken. Alle spucken. Wo man sich auch aufhält, hört man unentwegt diesen Klang: das langgezogene, saugende Räuspergeräusch, das beim Ansaugen von Schleim in den Mund entsteht, gefolgt vom zischenden Abschußgeräusch der losfliegenden Ladung und, wenn man Glück hat, dem klingenden »Fing« beim Einschlag in einem Spucknapf, von denen es Unmengen gibt. In jedem Zimmer steht mindestens einer. In der Hotelhalle zählte ich ein Dutzend, strategisch günstig in Ecken und Nischen verteilt. Auf den Straßen von Shanghai ist an jeder Ecke ein Spucknapf ins Pflaster eingelassen, der bis oben hin mit Zigarettenstummeln, Abfall und dickem, knotigem, blasigem Schleim gefüllt ist. Man entdeckt auch eine Menge Schilder mit der Aufschrift »Spucken verboten«, aber da sie bevorzugt auf englisch und nicht auf chinesisch beschriftet sind, vermute ich stark, daß sie bloß kosmetischen Wert haben. Ich mußte mir sagen lassen, das Spucken auf der Straße gelte mittlerweile eigentlich als Vergehen, das mit einer Geldstrafe geahndet wird. Sollten diese Bußgelder jemals eingefordert werden, würde die gesamte chinesische Wirtschaft vermutlich zusammenbrechen.
Der andere Klang ist der einer chinesischen Fahrradklingel. Es gibt nur einen Klingeltyp, und der wird von der Seagull-Company hergestellt, die auch chinesische Kameras baut. Die Kameras sind wohl nicht die besten der Welt, aber die Klingeln könnten es durchaus sein, da sie zum intensiven Gebrauch gefertigt sind. Es sind große, solide, rasselnde Chromtrommeln mit
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