Die letzten ihrer Art
winzigen, pausbackigen , wächsernen Körper vorbei.
Die während ihrer Verfütterung an das Mausoleum so streng und unnachgiebig kontrollierte Schlange löste sich nach dem Ausgang auf der anderen Seite vor den Souvenirshops in ihre Bestandteile auf. Aus der Luft gesehen, mußte das Gebäude große Ähnlichkeit mit einem gigantischen Fleischwolf haben.
Der gesamte Platz und die angrenzenden Straßen waren mit unzähligen Lautsprechern für öffentliche Ansprachen bestückt, aus denen ganztätig Musik quoll. Was während der meisten Zeit gespielt wurde, war schwer auszumachen, weil das ganze System ziemlich im Eimer war und der Klang völlig undechiffrierbar um uns herumhämmerte und -plärrte und -hallte, aber als wir ein paar Minuten später auf das Tiananmen-Tor kletterten, hörten wir wesentlich besser, womit wir beschallt wurden.
Das Tiananmen-Tor ist ein hohes Gebilde mit flacher Front, Torbögen am Boden, durch die man in die Verbotene Stadt gelangt, und einem großen Balkon obendrauf, hinter dem sich eine Reihe von Sitzungssälen befindet.
Das Tor wurde während der Ming-Dynastie gebaut und von den Kaisern zu öffentlichen Auftritten und Bekanntmachungen genutzt. Wie der Platz des Himmlischen Friedens war auch das Tor schon immer ein Brennpunkt in Chinas politischer Geschichte. Wenn man auf den Balkon klettert, kann man an genau der Stelle stehen, von der aus der große Vorsitzende Mao am 1.Oktober 1949 die Gründung der Volksrepublik China proklamiert hat. Um die deutlich markierte Stelle herum ist eine Ausstellung mit Fotos von dem Ereignis gruppiert.
Von dort oben hat man einen außerordentlich guten Blick auf die ungeheure Ausdehnung des Platzes. Es ist, als sehe man von einem Berghang über eine Ebene. In politischen Kategorien gedacht, ist der Ausblick sogar noch erstaunlicher, weil er eine Nation umfaßt, die beinahe ein Viertel der Bevölkerung unseres Planeten ausmacht. Die gesamte chinesische Geschichte ist hier sinnbildlich gebündelt, an genau dieser Stelle, und es fällt schwer, dort oben zu stehen und von dieser Macht nicht gelähmt zu sein. Es fällt ebenso schwer, von der Vision des Bauern aus Shao-Shan nicht zutiefst ergriffen zu sein, der diese Macht im Namen des Volkes ergriff und von seinem Volk noch immer, trotz der Greueltaten der Kulturrevolution, als Vater der Nation verehrt wird.
Und als wir an diesem Punkt standen; dem Punkt, an dem Mao stand, als er die Gründung der Volksrepublik China proklamierte, dröhnte aus den öffentlichen Lautsprechern rund um den Platz zuerst »Viva Espana« und dann die Erkennungsmelodie von »Hawaii Fünf Null«.
Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, daß irgend jemand irgendwo nicht begriffen hatte, worauf es ankam. Ich war nicht mal sicher, daß nicht ich derjenige war.
Am nächsten Tag flogen wir nach Shanghai und fingen an, über die Delphine nachzudenken, auf die wir langsam durch China zukrochen. Um über sie nachzudenken, gingen wir in die Bar des »Peace Hotel«. Es erwies sich als ein zum Denken völlig ungeeigneter Ort, weil man vor lauter Lärm seine eigenen Gedanken nicht verstand, aber wir hatten uns das Hotel sowieso ansehen wollen.
Es ist ein imposantes Überbleibsel aus jener Zeit, als Shanghai noch eine der glanzvollsten und kosmopolitischsten Hafenstädte der Welt war. In den dreißiger Jahren war das Hotel unter dem Namen »Cathay« jedem ein Begriff und der prachtvollste Treffpunkt in der ganzen Stadt gewesen. Hierher kamen die Leute, um sich einander in strahlendem Glanz zu präsentieren. In einer der Suiten schrieb Noël Coward einen Entwurf von »Private Lives«.
Heute blättert die Farbe ab, ist die Halle dunkel und zugig, sind die Plakate, die für die »World Famous Peace Hotel Jazz Band« werben, mit Filzstiften geschrieben und mit Klebeband an den Wandtäfelungen befestigt, aber der Geist der vergangenen »Cathay«-Pracht lauert noch immer zwischen den Kronleuchtern und fragt sich, was in den letzten vierzig Jahren bloß passiert ist.
Die Bar war ein dunkler, niedriger Raum unmittelbar hinter der Eingangshalle. Die »World Famous Peace Hotel Jazz Band« hatte an diesem Abend frei, aber dafür spielte eine Stellvertreterband. Man behauptet, dies sei einer der letzten Orte auf Erden, wo die Musik der Dreißiger noch immer so gespielt würde wie früher. Mag sein, daß die World-Famous-Kapelle dieses Versprechen hält, aber ihre Stellvertreter tun es nicht. Sie hämmerten sich durch endlose Wiederholungen von
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