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Die letzten Kinder von Schewenborn

Die letzten Kinder von Schewenborn

Titel: Die letzten Kinder von Schewenborn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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lesen.«
    Kurz vor dem Waldrand war die Straße wieder gesperrt: Ein paar Bäume waren auf die Fahrbahn gestürzt. Aber mein Vater schaffte es, trotzdem durchzukommen. Mit den rechten Rädern fuhr er übers Gras, auf der linken Wagenseite zerschrammten ihm die Birkenzweige den Lack. Ich wunderte mich, daß er sich nicht darüber ärgerte. Er stieg nicht einmal aus, um den Schaden zu betrachten.
    Dann lag das Tal von Wietig vor uns. Wir hatten einen offenen Blick auf den Himmel. Einen so unheimlichen Himmel hatten wir noch nie gesehen. Es war dämmrig-düster, die Sonne war nicht zu sehen. Braungrauer Qualm türmte sich in der Ferne auf. Hoch darüber wälzte sich ein riesiger Kranz aus Staub und Rauch in alle Richtungen auseinander. Und ganz klein darunter, vor uns in der Mulde, lag Wietig, das letzte Dorf vor Schewenborn.
    Wir konnten nur ganz langsam durch den Ort fahren. Ohne auf den Verkehr zu achten, rannten die Leute mit Schreckensgesichtern hin und her über die Straße, schleppten Säcke und Bündel, zerrten Kinder hinter sich her, legten Schläuche. Aus einer Fensterreihe quoll Rauch. Überall waren die Scheiben eingedrückt, Dächer halb abgedeckt. Eine Scheune war zusammengestürzt und auf die Straße gekippt. Wir mußten den Trümmerberg umfahren. Am Dorfende sahen wir Flammen aus den Gebäuden eines Sägewerks schlagen. Auf der gegenüberliegenden Seite wurden Verletzte, notdürftig verbunden, zu einem Auto geführt. Ein Mann stoppte unseren Wagen und fragte meinen Vater aufgeregt, ob die Straße nach Lanthen frei sei. Wir berichteten ihm von der umgestürzten Fichte.
    »Wahrscheinlich ist das nicht die einzige«, sagte mein Vater. »O mein Gott«, sagte der Mann, »hier gibt's Tote und Verletzte, und das Telefon funktioniert nicht -«
    »Haben Sie eine Ahnung, was da passiert ist?« rief uns eine Frau zu.
    Mein Vater schüttelte den Kopf.
    »Fahr weiter«, drängte meine Mutter, »wir verlieren nur Zeit!« Wir hörten noch, wie jemand rief: »Die Straße nach Lanthen ist zu!« und darauf ein vielstimmiges Geschrei, aus dem nur »Schewenborn, Schewenborn!« zu verstehen war, dann waren wir aus Wietig hinaus.
    Die Wietiger wußten wohl noch weniger als wir, denn vom Dorf aus konnte man nur einen Teil der Wolken sehen. Auch die Druckwelle war über den Ort hinweggebraust, ohne allzuviel Schaden anzurichten. Denn je höher wir wieder aus dem Tal heraufkamen, um so mehr Straßenbäume sahen wir umgestürzt liegen. Es wurde eine Slalomfahrt. Manchmal mußten wir aufs Feld ausweichen.
    »Es ist ein Irrsinn«, sagte mein Vater und trat auf die Bremse, »daß wir noch auf die Katastrophe zufahren.« »Aber die Eltern«, jammerte meine Mutter. »Wie sollen sie sich denn helfen?«
    Da fuhr er weiter. Wir kamen in den Buchenwald auf der Höhe. Der hatte dem Sturm einigermaßen standgehalten. Dann ging es wieder hinunter. Wir beugten uns gespannt vor, denn hinter dem Wald lag Schewenborn. Bei jeder Reise hatten wir uns auf den Augenblick gefreut, wenn wir aus dem Wald kamen und die Stadt vor uns liegen sahen. Jetzt hatten wir Angst.
    »Uns kommen ja noch immer keine Autos entgegen«, stellte Judith fest. Das war richtig gespenstisch. Irgendwo in der Nähe heulte eine Sirene so laut, daß wir sie sogar im Fahren hören konnten.
    Als wir fast am Ende des Waldes angekommen waren, lag hinter einer Kurve ein Baum quer über der Straße. Der Vater mußte scharf bremsen, die Mutter schrie auf. Nur knapp vor dem Stamm kam der Wagen zum Stehen. Der Vater fuhr an den Straßenrand, und wir stiegen alle aus. Die Mutter nahm nur ihre Tasche mit, denn sie mußte sich um Kerstin kümmern. Die verstand nicht, warum sie plötzlich aus dem Wagen heraussollte, und brüllte. Der Vater nahm unsere beiden Koffer.
    »Laß die Koffer im Wagen«, rief die Mutter. »Wir holen doch nur die Eltern und fahren sofort mit ihnen zurück!«
    »Aber die Straße ist doch zu!« antwortete ihr der Vater gereizt. »Und meinst du, wir sähen die Koffer je wieder, wenn wir sie hier im Wagen ließen?« Und schon schleppte er die Koffer fort. Er keuchte. Er war damals ziemlich dick. Die Mutter zerrte Kerstin hinter sich her.
    Kaum waren wir über den Baum geklettert, stoppte ein anderer Wagen vor der Straßensperre. Ich drehte mich um und erkannte das Auto mit den Verletzten aus Wietig. Ich hörte ein Stöhnen. Ein Mann sprang aus dem Wagen und rief uns zu: »Bitte helfen Sie uns. Ich habe drei Schwerverletzte im Wagen. Sie müssen sofort in ärztliche

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