Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Außenminister Schewardnadse, sondern Ministerpräsident Nikolai Ryshkow. Dagegen ist eigentlich nichts zu sagen; der Ministerpräsident empfängt den Ministerpräsidenten. Aber im damaligen Machtgefüge der UdSSR spielt der Premier keine wesentliche Rolle. Schewardnadse als Vertrauter Gorbatschows ist die wesentlich wichtigere Figur.
Die Merkwürdigkeiten setzen sich im Hotel fort, wo die Delegationsmitglieder in weit voneinander entfernte Zimmer eingewiesen werden: »Das ist uns nie passiert bei irgendwelchen Auslandsreisen, auch in den USA nicht. Da waren wir auf einer Etage, die abgesperrt war. Aber dort wurden wir auseinandergerissen. Das war also System. Und da haben wir unsere Koffer praktisch stehen lassen und gesagt, wir bestehen jetzt darauf, dass wir zusammen irgendwo
28.4.1990, Moskau, Nikolai Ryshkow (l.) begrüßt Lothar de Maizière und Außen minister Markus Meckel (r.)
Zimmer bekommen. Die hat man uns schließlich irgendwann gegeben. Man musste wahrscheinlich erst die Wanzen neu verlegen. Es war eine angespannte Atmosphäre.« Um ungestört (und unabgehört) miteinander reden zu können, macht man am Abend einen Spaziergang an der Moskwa. Die Bewacher sind sichtlich irritiert.
Für den nächsten Morgen sind die Einzelgespräche der unterschiedlichen Ressorts geplant. Gehler: »Ich hatte die Aufgabe, bei dem Gespräch Meckel/ Schewardnadse mit dabei zu sein. Und mit de Maizière hatte ich ausgemacht: Ich gehe dort etwas früher raus, denn die Russen hatten die Termine plötzlich alle ein klein wenig verschoben, so dass sie sich überschnitten. Ich musste also früher rausgehen, um de Maizière vor dem Gespräch mit Gorbatschow noch sagen zu können, was dort besprochen worden ist. Ich hatte mich günstig gesetzt und bin tatsächlich kurz vor Ende des Schewardnadse-Gespräches aufgestanden und habe mich rausgesch lichen, was man eigentlich nicht macht bei solchen Gesprächen, denn ich saß ja irgendwo mit an gehobener Position.«
Meckel schildert den Inhalt seines Gespräches mit Schewardnadse so: »Meine Botschaft war relativ klar. Zum Ersten habe ich gesagt: ›Die deutsche Einheit kommt! Die können Sie auch nicht verhindern. Die Menschen wollen sie, und wir wollen sie. Sie wird kommen. Wir wollen, dass sie so kommt, dass eure Interessen dabei berücksichtigt werden, aber ihr könnt es nicht bremsen. Ihr müsst euch darauf einstellen, und wir brauchen einen geordneten Prozess, das ist unser Interesse!‹ Und ich habe ganz klar gesagt: ›Wir sind nicht mehr der kleine Bruder, der Befehle empfängt! Uns liegt an einem intensiven Austausch, einer guten Abstimmung!‹ Gerade, weil uns bewusst war, die Sowjetunion sollte nicht in einer Situation der Schwäche etwas zustimmen, womit sie nachträglich nicht mehr einverstanden ist. Denn uns war klar, eine vergleichbare Situation wie für Deutschland nach dem 1. Weltkrieg in Versailles, das schafft Instabilität! Man kann ja durchaus sagen, die Tatsache, dass Hitler Anfang der 30er Jahre bei Wahlen so zulegen konnte, hing auch zusammen mit dem Friedensabschluss des 1. Weltkrieges und dem Unbehagen der Bevölkerung gegenüber Versailles. Wir wollten eine solche Situation verhindern und deutlich machen, die Sowjetunion darf nicht als Verlierer aus dem Prozess herausgehen. Aber wir sind auch nicht mehr Teil ihres Einflussbereiches. Und ich erlebte einen Schewardnadse, der sehr offen, sehr souverän damit umging und dies auch zugesagt hat.«
Nachdem sich Gehler kurz vor Ende des Gesprächs rausgesch lichen hat, versucht er, auf dem schnellsten Weg zum Kreml zu kommen. Ein Wagen der russischen Wachmannschaft steht bereit, doch der Weg, den der Fahrer fährt, kommt ihm seltsam vor: »Ich habe gedacht, wo fahren die mich jetzt hin? Mein Russisch ist nicht besonders, aber ich habe versucht, denen klarzumachen, ich will sofort direkt zum Kreml, bis sie es dann auch gemacht haben, widerwillig. Die haben eben versucht, Zeit zu schinden. Und dann habe ich de Maizière doch noch abgefangen und habe ihm gesagt, was im Gespräch zwischen Schewardnadse und Meckel stattgefunden hat. Die Russen hatten übrigens auch jemand losgeschickt und Gorbatschow vorbereitet. Ich war nicht in diesem Gespräch, nur am Anfang und am Schluss. Und das war ein sehr heftiges Gespräch. Dazu könnte de Maizière mehr erzählen als ich.«
»Ich kam also zu Gorbatschow, und der sagte zu mir, er erwartete von mir das, das, das und das. Und da sagte ich: ›Die Zeit,
Weitere Kostenlose Bücher