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Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit

Titel: Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ed Stuhler
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der Sowjets war oder nicht. Michail Sergejewitsch Gorbatschow meinte ja später, er könne sich nicht daran erinnern. Selbstverständlich war es eine Bedingung! Kaum, dass wir die Regie rung gebildet hatten, erhielten wir ein Memorandum von Eduard Schewardnadse, wo drinstand: ›Nichts soll geschehen, das die Maßnahmen der sowjetischen Militärregierung in der Zeit von 1945 bis
    1949 infrage stellt, insbesondere nicht in Eigentumsfragen an Grund und Boden!‹ Dazu muss man wissen, dass diese Enteignungen aus der sowjetischen Sicht 1945 bis 1949 dreierlei Charakter hatten. Zum einen waren sie Sanktion, und dem Gedanken der Sanktion kann ich mich auch heute noch anschließen, wenn ich an IG Farben und Zyklon B denke und Ähnliches mehr. Das würde mir schon widerstrebt haben, die entsprechenden Eigentumsdinge zurückzugeben. Und zum anderen war es aus ihrer Sicht der Beginn der Umgestaltung der Gesellschaft hin zu einer klassenlosen Gesellschaft, zumindest einer eigentumslosen Gesellschaft. Und drittens war es die Möglichkeit, den Vertriebenen, die wir ja in der DDR immer vornehm ›Umsiedler‹ nannten, eine Existenzgrundlage zu schaffen.
      Wir haben ja noch im Rahmen von Zweiplus-Vier einen Brief unterschrieben, in dem Genscher und ich ausdrücklich versichert haben, dass die Enteignungen der 45-bis49er-Ära nicht rückgängig gemacht werden, dass Deutschland die sowjetischen Grab- und Kriegsdenkmale pflegt, dass wir keine neonazistischen Parteien in Deutschland zulassen werden und dass wir das Prinzip der Staatensukzession, also der Staatennachfolge, im Vertragswesen einhalten.«
      Reichenbach: »Der größte Nutznießer der Regelung, die Jahre 45 bis 49 nicht mehr anzufassen, ist die Bundesregierung gewesen, weil die natürlich mit Abstand das größte Stück vom Kuchen bekommen hat. Sie musste dafür nichts tun, und Herr Waigel hatte damit natürlich für Dinge, die er für die deutsche Einheit zahlen musste, einen guten Gegenwert. Sag ich jetzt mal so.«
      In der Nacht zum 23. August wird in der Volkskammer der Beitrittstermin beschlossen, eine Woche später, am 31. August, der Einigungsvertrag unterzeichnet. Markus Meckel, zu diesem Zeitpunkt nach dem Bruch der Koalition schon nicht mehr Außenminister, hält diese Abfolge für falsch: »Es gibt einen Webfehler in meinen Augen, das ist der Beitrittsbeschluss am 23. August. Und

    31.8.1990, Berlin, Palais Unter den Linden, Unterzeichnung des Einigungs vertrages durch die beiden Verhandlungsführer Staatssekretär Günther Krause (r.) und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l.)

    zwar deshalb ein Webfehler, weil dieser Beitrittsbeschluss gefasst wurde, bevor der Einigungsvertrag abgeschlossen war. Ich war damals empört darüber, wie man die eigene Souveränität in einem Verhandlungsprozess aufgeben kann, bevor der Vertrag abgeschlossen ist. Weil klar ist, mit einem solchen Beschluss schwächt man noch einmal zusätzlich die eigene Position in den Verhandlungen. Ich bin dann in der Nacht auch gegangen, habe an der Abstimmung zum Beitritt nicht teilgenommen aus Wut über diesen Ablau f. Nach wie vor halte ich das für einen Webfehler in diesem Prozess, den ich aber ansonsten als aufrechten Gang der Ostdeutschen in die deutsche Einheit beschreiben würde.«

    Laut Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gibt es zwei Möglichkeiten zum Erreichen der deutschen Einheit: Den Beitritt nach Artikel 23 oder, nach Artikel 146, die Bildung eines neuen Staates mit neuer Verfassung. Im April, als alle noch von einem längeren Übergangszeitraum ausgehen, spricht sich Volkskammer präsidentin Sabine Bergmann-Pohl sogar für diese zweite Option aus. Die Arbeitsgruppe »Neue Verfassung der DDR« des Zentralen Runden Tisches stellt im März ihren Verfassungsentwurf vor und bezeichnet ihn als das »Vermächtnis des Runden Tisches«. Die DDR wird darin als rechtsstaatlich verfasster, demokratischer und sozialer Bundesstaat definiert. Der Entwurf beruhe zu 90 Prozent auf dem bundesdeutschen Grundgesetz; Volksentscheiden und anderen Formen direkter Demokratie käme jedoch eine größere Bedeutung zu. Als Staatswappen wird die Darstellung »Schwerter zu Pflugscharen« vorgeschlagen, das Symbol der kirchlichen Friedensbewegung der DDR 20 .
      Gerhard Schröder, designierter Ministerpräsident von Niedersachsen, plädiert in der ZDF-Sendung »Was nun?« am 14. Mai für einen Volksentscheid über die Verfassung eines gesamtdeutschen Staates. Und Willy Brandt fordert

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