Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
de Maizière und andere, aufgenommen wurden in das Kabinett für besondere Aufgaben, also für gar keine. Sie hatten keine Zuständigkeit. Frau Matthäus-Maier bezeichnete sie als Wahlkampfminister, und ich sagte: ›Das ist nichts anderes als Demütigung. Man übernimmt fünf Ostdeutsche, aber zu tun haben sie nichts. Demütigender kannst du die gar nicht behandeln.‹ Ich glaube, es war auch falsch von de Maizière. Er hätte das nie machen dürfen. Er hätte sagen müssen, dass er aufhört mit dem Ende seiner Tätigkeit als Ministerpräsident. Das wäre sehr viel besser gewesen. Hat er aber nicht.«
»Ich war auch kurz vor dem 3. Oktober wild entschlossen zu sagen: ›Das war's und Schluss aus!‹ Dann wurde ich sehr bedrängt von meinen anderen CDU-Mitgliedern: ›Du musst und du sollst doch uns vertreten.‹ Das war sicherlich ein Fehler! Die drei Aufgaben, für die wir am 18. März angetreten waren, hatten wir erfüllt, die Einheit Deutschlands, einen föderalen Bundesstaat, der grundgesetzkompatibel ist, und einen Rechtsstaat. Insofern hätte ich nach Hause gehen können und sollen.«
Für die Staatssekretäre, so sie nicht Mitglied der Volkskammer waren, gibt es keinerlei finanzielle Unterstützung. Kulturstaatssekretärin Gabriele Muschter: »Ich war ja bei der letzten Sitzung dabei, als de Maizière sagte, jetzt sei der letzte Tag. Herr Pieroth, der auch zu den Beratern gehörte auf dem Gebiet der Wirtschaft, saß ganz hinten und sagte: ›Herr de Maizière, Sie müssen doch den Leuten mal danken!‹ Und dann erst wurde irgendwann ein Glas Sekt geholt. Ich weiß noch, dass neben mir die Staatssekretärin von Meckel saß, die offensichtlich Lehrerin war, und sie sagte: ›Also wenn ich in die Schule zurückgehen muss, nehme ich mir einen Strick.‹ Das ist für mich so schlimm. Viele Leute haben uns allen das ja auch übelgenommen, und vielleicht war sie in so einem Umfeld, wo sie gesagt hat, sie würde das nicht mehr länger durchhalten.
Am Anfang haben wir nicht gedacht, dass es so schnell geht. Aber als es dann so schnell gehen musste, haben wir uns einfach darauf eingestellt. Ich habe mir gar keine Gedanken gemacht, was danach ist, weil ich dachte, das wird schon irgendwie weitergehen. Aber es war natürlich auch schon demütigend, so abserviert zu werden. Das haben, glaube ich, viele so empfunden. Es wollte dort auch keiner reich werden, aber dass man über Nacht dastand und gar nichts mehr hatte, das finde ich bis heute nicht gut. Es war Feierabend und fertig.«
»Ich kam vom CDU-Vereinigungsparteitag zurück«, erinnert sich Familienministerin Christa Schmidt. »Wir sind in Schönefeld gelandet. Mein Fahrer holte mich ab und sagte: ›Greifen Sie doch bitte mal neben sich, da liegt Ihre Entlassungsurkunde!‹ Das hat mich sehr bestürzt, das muss ich schon sagen. Die hätte mir de Maizière auch abends geben können. Wir haben uns ja alle noch mal getroffen. Aber die mir von meinem Fahrer überreichen zu lassen – das hat de Maizière ja nicht gewusst – aber dass das so passiert, das war für mich fast entwürdigend.«
»Es war eine Zeit«, sagt Gesundheitsminister Jürgen Kleditzsch, »die man selbst aktiv mitgestaltet hat, aktiv erlebt hat, die nicht jeder in dem Maße erleben konnte und durfte wie wir. Nur, an dem Tag, an dem es dann so weit war, da hat es mich getroffen. Es war uns immer klar, dass es kommt. Wir haben darauf hingearbeitet und wussten, es war gut so. Aber an dem Tag stürzte ich von Power
200 Prozent auf null herunter. Und das war furchtbar, wirklich furchtbar. Man wusste mit sich nichts mehr anzufangen. Das hatte ich so nicht erwartet. Ich dachte, aber vielleicht ist es auch völliger Quatsch, dass ich mit meiner Erfahrung noch anderswo gebraucht würde. Aber nein, es war dann eben auf null – das war's.«
Vereinigungsparteitag von Ost- und West-CDU am 1. Oktober in Hamburg.
Christa Schmidt: »Ich denke, dass diese Übergangszeit notwendig war. Man hätte nicht von der Regierung Modrow auf eine Bundesrepublik umschwenken können. Es war viel Arbeit notwendig, um Regelungen zu treffen, dass das Leben weiterging, die Wirtschaft, die Finanzen und was damit alles zusammenhängt, aber auch das gesellschaftliche Leben. Ohne diese Übergangsphase wäre vieles sicher ganz anders gelaufen oder irgendwie stockend. Ich denke schon, dass die Übergangsphase eher etwas Gleitendes an sich hatte und dass alle miteinander versucht haben, das auch wirklich so
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