Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Kontakte zur Stasi gehabt und so weiter.
Ich habe dann Diestel gegenüber angedroht, sofort in die Öffentlichkeit zu gehen und mein Amt niederzulegen. Er sagte dann, ich solle es erst mal vergessen, er würde noch mal recherchieren. Komischerweise hat Diestel auch die Chancen gehabt zum Recherchieren. Er hat mir drei Wochen später gesagt: ›Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben, bei dir ist alles sauber. Dich haben sie 1983 mal versucht anzuwerben, das ist aber erfolglos abgebrochen worden.‹ Das hat mir natürlich zu denken gegeben, sag ich ganz ehrlich.«
Am Vorabend dieser letzten Volkskammersitzung tagt das Präsidium bis morgens um fünf Uhr. Es gibt erregte Auseinandersetzungen um die Frage, ob die Liste der Stasi-Verdächtigen am nächsten Tag verlesen wird. Die Mehrheit spricht sich dafür aus. Bergmann-Pohl: »Ich habe mich geweigert, mit der Begründung, dass die Aktenlage doch nicht so klar sei. Aus meiner Sicht gab es teilweise Vermischung von Opfern und Tätern. Und ich habe recht gehabt. Ich wollte verhindern, dass falsche Verdächtigungen ausgesprochen werden. Das war schlimm für die Betroffenen, die an den Pranger gestellt waren, deren Kinder in der Schule beschimpft wurden.«
Volkskammervizepräsident Reinhard Höppner: »Wir hatten einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, der die Stasi-Überprüfung
28.9.1990, Berlin, Eklat in der Volkskammer, Sitzstreik der Oppositionsabgeordneten, Mitte: Sabine Bergmann-Pohl, Reinhard Höppner
der Volkskammerabgeordneten machen sollte. Der kam natürlich nicht zurande in dieser kurzen Zeit. Es war ja auch noch keine so eingearbeitete Behörde da wie dann später. Es gab einen massiven Streit bei der Frage, ob die Namen jetzt genannt werden sollen oder nicht, die die Kommission da hatte, mit Sitzstreik und Sitzblockade vor dem Präsidententisch. Es gab da einen richtigen Eklat zwischen den Fraktionen. Die Bürgerbewegten sowie auch Stimmen aus SPDKreisen wollten auf alle Fälle, dass die Ergebnisse noch öffentlich gemacht werden. Die CDU-Fraktion wollte auf alle Fälle verhindern, dass Namen genannt werden. Beide hatten gute Gründe dafür, wie man jetzt weiß.
Es ging nichts mehr, weil die Bürgerbewegten den Präsidententisch besetzten! Ich hätte praktisch die Polizei und die Ordner holen und die da wegräumen lassen müssen. Man muss ja wissen, das wurde alles immer live übertragen, also die Kameras waren alle da. Nun kannte ich die fast alle, ich bin da immer hin und her gelaufen. Und es gibt ein schönes Bild, wie ich mit auf dem Boden sitze bei den Protestanten und wir darüber diskutieren, wie wir diese Kuh wie der vom Eis bekommen. Das war das Schöne an dieser Volkskam mer, man konnte mit allen freundschaftlich reden. Das war wahr scheinlich der Grund, warum mich ein paar Leute immer den wandelnden Vermittlungsausschuss nannten, diese Szenen, wie ich da hin und her gelaufen bin.«
Ein Kompromiss wird gefunden: In nichtöffentlicher Sitzung verliest Wolfgang Ullmann die Namen der 15 als stark belastet eingestuften Parlamentarier.
Höppner weiter: »Das ist dann gemacht worden und hat zu einer ganz heftigen Sitzung geführt, in der dann praktisch alle, die namentlich genannt worden waren, Rechtfertigungsreden gehalten haben. Eine der peinlichsten Sitzungen, die ich überhaupt erinnere in dieser Volkskammer. Man weiß ja auch inzwischen aus Überprüfungen, dass da sowohl ein paar Falschmeldungen dabei gewesen sind wie auch eine ganze Menge Leute, die nicht auf der Liste standen, die nachher ziemlich dicke Brocken waren. Mit anderen Worten: Diese Liste war schlecht, richtig schlecht! Aber es war damals nicht zu ver hindern. Da war noch mal so viel Druck da, mit dieser DDRVergangenheit nicht einfach so umzugehen, aber wahrscheinlich auch so diese Verletzungen der Bürgerbewegten, die ja nun im Grunde genommen überfahren worden waren. Die waren ja seitdem dann auch out, muss man einfach so sagen.«
Jens Reich: »Die ausschließliche Konzentration der Bürgerbewegung auf die Stasi, sozusagen als die Opritschina Iwans des Schrecklichen, die also der eigentliche Machtapparat gewesen ist, das war fehlerhaft. Obwohl wir alle das Schlagwort kannten, dass die Stasi Schild und Schwert der Partei war, haben wir das nicht deutlich genug gemacht. Die Wut sozusagen richtete sich gegen dieses Schwert und nicht gegen den, der das Schwert geführt hat. Und da würde ich sagen, dass uns die Konzentration auf diese Sache
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