Die letzten Monate der DDR: die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit
Einfluss auf anderen Gebieten gekostet hat.«
Die Opritschina war im 16. Jahrhundert die Leibgarde Zar Iwans des Schrecklichen.
Diestel: »Ich bin sehr dankbar, dass es uns gelungen ist, mit diesen ganz simplen, elementaren, irdischen Dingen den SED-Staat abzuwählen. Dass wir mit unserer eigenen Schlitzohrigkeit etwas geschafft haben, was sicherlich einmalig ist, was heute auch belächelt wird: Friedliche Revolution. Da gibt es kluge Klugscheißer aus Ost und West, die sagen, es war gar keine Revolution, es war ja alles schon erledigt. Das ist schreiende Dummheit! Wenn man das Machtpotential sich ansieht, das im Frühjahr 1990 abgewählt wurde, wenn man sich nur zahlenmäßig die Anzahl der Uniformenträger auf dem Gebiet der DDR verinnerlicht, wie viele das gewesen sind, wer dann von konsequenten, folgerichtigen Prozessen spricht, die vorauszusehen waren, und an dieser friedlichen Revolution rummäkelt, der ist an Schlichtheit nicht zu überbieten.«
Epilog : Abschlussfeier
Der 2. Oktober ist der letzte Tag der DDR. Um null Uhr wird sie aufhören zu existieren. Der letzte Akt ist eine Festveranstaltung im Schauspielhaus. Der Ministerpräsident macht das Licht aus:
»Meine Aufgabe war erledigt. Ich habe im Schauspielhaus die DDR aus der Geschichte verabschiedet – ein merkwürdiges Gefühl. Ich stand draußen mit Kurt Masur, der dann Beethovens 9. dirigieren sollte. Ich kenne ihn noch aus meiner Hochschulzeit an der Hanns-Eisler-Musikhochschule und sagte zu ihm: ›Herr Professor, ich habe so ein Fracksausen!‹ – so nennt man bei Musikern Nervosität. Und er antwortete, auch er sei nervös. ›Warum?‹, fragte ich, ›Sie haben doch die 9. schon x-mal in Ihrem Leben dirigiert.‹ ›Ja, mein Junge, aber noch nie zur deutschen Einheit!‹ Also er war sich der Situation sehr wohl bewusst.«
Um diese Veranstaltung hatte es noch einmal »großes Theater« geben. Zuständig für die Vorbereitung der Abschlussfeierlichkeiten sind die Büros der beiden Parlamentspräsidenten. Frau Süssmuth will eine Gesamtfeier im Reichstag und hält einen separaten DDRAusklang für überflüssig. Sabine Bergmann-Pohl dagegen ist der Meinung, dass sich zwei Staaten vereinen, deshalb sollte es zwei Veranstaltungen geben. Das Bonner Büro verschleppt, das Protokoll drängt. Schließlich setzt sich die Volkskammerpräsidentin durch.
Das Verhältnis der beiden Parlamentspräsidentinnen ist nicht das beste. Schon Mitte September hatte es einen Eklat gegeben: Für die Abgeordneten der Volkskammer existierte keine Übergangsregelung. Mit dem Ende der DDR würden sie alle ohne Pensionsansprüche für die Abgeordnetenzeit und ohne Anspruch auf reguläres Arbeitslosengeld auf der Straße stehen, denn nach Darstellung von Sabine
2.10.1990, Berlin, Schauspielhaus, Festakt, Lothar de Maizière hält seine letzte Rede als Ministerpräsident der DDR
Bergmann-Pohl hätten die Abgeordneten einen Status wie Selbständige. Deshalb fordern alle Fraktionen, es muss wenigstens ein kleines Übergangsgeld für drei Monate geben. Bergmann-Pohl spricht mit Schäuble und Süssmuth. Als nach geraumer Zeit keine Reaktion erfolgt, schickt sie ein mahnendes Fax an Kohl, Schäuble und Süssmuth. Am 19. September kommen die Medien in den Besitz des Schreibens und interpretieren es so, dass sich das DDR-Parlament die Zustimmung zum Einigungsvertrag am nächsten Tag bezahlen lassen will. Ein aufgeregter Wolfgang Thierse ruft die Volkskammerpräsidentin an und fordert sie im Namen seiner SPD-Fraktion zum sofortigen Rücktritt au f. Hinterher wird Sabine BergmannPohl zugetragen, dass das Büro Süssmuth womöglich ihr Fax an die Presse weitergegeben habe.
Die Mitglieder der letzten DDR-Regierung stehen nach dem 3. Oktober ohne Pensionsansprüche für das halbe Jahr ihrer Amtszeit da. Erst 2008 beschließt der Bundestag, auf Initiative von Wolfgang Schäuble, eine Ehrenpension für 199 Regierungstage, zu zah len ab dem 55. Lebensjahr. Sie beträgt fünf Prozent des fiktiven Gehalts eines Bundesministers, bei de Maizière fünf Prozent des fiktiven Gehalts eines Bundeskanzlers. Das sind bei allen Ministern
590 Euro, de Maizière bezieht knapp 800 Euro.
Für die kurze Zeit bis zur Bundestagswahl am 2. Dezember wird der Bundestag um 144 bisherige Volkskammerabgeordnete erweitert. Kohl beruft fünf Sonderminister ohne Geschäftsbereich aus der DDR-Riege. Gysi: »Ich bekam sofort mit, dass fünf Minister aus dem Osten, Bergmann-Pohl,
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