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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Züge zu verleihen, Boshaftigkeit zu
unterstellen. Sie suchte ihn zu beschwichtigen, mit seiner Eitelkeit zu
bestechen, als sei er nur an Opfern interessiert, die er mit sich überrumpeln
konnte.
    Am Abend, als die Freundinnen
an der grellbunt beleuchteten Strandbar Cocktails orderten, entspann sich ein
Dialog, der weit über das gewöhnliche Urlaubspalaver hinausging.
    Wollen wir beide nicht
zusammenziehen?
    Fragte Lisbeth.
    Ja. Das liegt nahe.
    Sagte Jule.
    Und an Weihnachten? Sind wir
dann auch ein Paar?
    Wenn wir ein Paar sind, warum
nicht an Weihnachten?
    Wirst dus deinen Söhnen sagen?
    Nein.
    Warum nicht?
    Das verwirrt sie bloß.
    So wichtig sind wir also
nicht?
    Wir sind zu bald tot, um
wichtig zu sein.
    Du gehst mir auf die Nerven,
Jule.
    Entschuldigung.
    Nach drei Tagen Miami
fuhren sie in den Süden des Landes. In den Everglades unternahmen sie die kaum
vermeidbare Tour mit dem Luftpropellerboot. Jule hatte sich bei Google
erkundigt, ob es bei diesen Exkursionen zu Unfällen kommen konnte. Und
tatsächlich war im letzten Jahr ein Boot in den Sümpfen manövrierunfähig liegen
geblieben, die Ausflügler hatten stundenlang wie auf dem Präsentierteller
gelegen, ohne Waffen und Funknetz, und es war unfaßbares Glück gewesen, daß die
Alligatoren gerade keinen Appetit gehabt hatten. Jule verlor daraufhin den
Großteil ihrer Angst, denn wieder einmal hatte sie den möglichen Tod durch ihre
Recherche aller Pointen und Überraschungsmomente beraubt. Die Paarungszeit der
Gators begann, wie ihr der Hotelmanager erklärte, erst im April. Dann könne es
schon vorkommen, daß sich ein Tier in die Zivilisation verirre. Weswegen man
nie nach Einbruch der Dämmerung baden gehen solle.
    Sie meinen – im Swimmingpool?
    Im Swimmingpool nicht – und
woanders gleich gar nicht.
    Das ist ja ein wildes Land
hier, meinte Jule, und der Hotelmanager, ein stiernackiger Mensch mit feistem
Bauch, lachte zustimmend. Lisbeth schlug vor, die gottverdammten Biester
einfach auszurotten. Eßbar seien sie ja und sogar schmackhaft. Beim abendlichen
Barbecue hatte Lisbeth ein Stückchen Alligatorenfleisch probiert, mit der
Begründung, daß, falls ihr etwas zustoßen würde, sie wenigstens als Erste
zugebissen haben wollte. Jule hingegen versagte sich den angeblichen Genuß.
Nicht etwa, weil es sie davor ekelte. Ihr Verzicht gründete auf einem
imaginären und stillschweigenden Abkommen zwischen sich und dem archaischen
Getier. Ich esse euch nicht, eßt ihr mich bitte auch nicht. Lisbeth hätte,
fürchtete Jule, für eine solche Argumentation wenig Verständnis gezeigt, hätte
dergleichen als kindlichen Schwachsinn abgetan.
    Am siebten Februar fuhren
sie nach Key West, in die äußerste südwestliche Ecke des Landes, wo Hemingway
ein Haus besessen und etliche seiner Romane geschrieben hatte. Lisbeth hatte
nie etwas von Hemingway gelesen, aus dem Glauben heraus, es handle sich dabei
um Männerliteratur. Jule hatte einiges von Hemingway gelesen und auch gemocht,
aber das war lange her und sie konnte sich an fast nichts mehr erinnern. Die
Straße nach Key West führte über Hunderte von Brücken, die kleine und kleinste
Inseln miteinander verbanden – schwebender Beton über smaragdgrünem Wasser –,
eine der zauberhaftesten Strecken, fand Jule, die man sich vorstellen könne.
    Irgendwas war mit dem
Kater nicht in Ordnung. Das spürte sie, auch wenn sie nicht an Telepathie
glaubte. Natürlich war mit dem Kater etwas nicht in Ordnung. Er war allein mit
einem ihm kaum bekannten Menschen. Und mit Jule war auch etwas nicht in Ordnung.
Sie war ohne Johnson unterwegs. Das war alles. Und lächerlich genug.
Eigentlich.
    Was hast du?
    Ich muß dauernd an Johnson
denken. Ob es ihm gut geht?
    Frag doch einfach deinen Sohn.
    Ich will ihn nicht dauernd
anrufen. Außerdem würde er auf jeden Fall sagen, daß es ihm gut geht. Ich kenn
ihn. Er würde mich anlügen.
    Sag ihm, er soll ein Foto von
Johnson machen und es dir über Handy schicken.
    Ach, komm! Auf was für Ideen
du kommst.
    Jule meinte das gar nicht
abfällig, sondern bewundernd. Auch wenn die Idee nicht umzusetzen war – David
wäre zu Recht beleidigt gewesen über eine solche Demonstration fehlenden
Vertrauens. Obwohl – sie dachte erneut nach –, man mußte das nur richtig verpacken.
    Ich habe vergessen, ein Bild
von Johnson mitzunehmen. Kannst du bitte eins mit dem Handy machen und mir
schicken? Er fehlt mir so. Danke!
    So lautete der Text der sms , die sie David schließlich sandte.

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