Die letzten schönen Tage
Erst nach zwei Tagen kam eine Antwort.
Liebe Mutter, tut mir leid, daß
ich das mit dem Katzenfoto verschwitzt habe. Im Anhang also das gewünschte
Porträt, wie du siehst, hat Johnson sich an mich gewöhnt, und wir vertragen
uns. Dir noch eine gute Zeit, dein David
Aber etwas war schiefgelaufen, die SMS hatte überhaupt keinen Bildanhang, vielleicht
war die Datei bei der Übertragung verloren gegangen, oder Jule wußte nicht,
welchen Knopf man drücken mußte, um sie aufzurufen. Die um Hilfe gebetene
Lisbeth konnte auch nichts entdecken. Und nun?
Dann schreib ihm eben noch
mal, meinte Lisbeth, es kann schon vorkommen, daß Bilddateien verloren gehen,
wenn man sie um den halben Erdball schickt.
Lieber nicht, sagte Jule, schon die Anrede spricht Bände. Mutter nennt er mich immer dann, wenn er sich von mir
genervt fühlt, sonst würde er Ma schreiben.
Du interpretierst, glaube ich,
zu viel hinein in die Dinge, hör mal, Julchen, auf die Gefahr hin, daß du mich
nicht mehr magst, aber – laß es damit bewenden. Wenn David sagt, daß es Johnson
gut geht, wird es ihm schon gut gehen, und wenn nicht, naja. Du solltest dir
deinen Urlaub nicht madig machen lassen von so was.
Jule verstand, was Lisbeth
sagen wollte. Daß es bei diesem Urlaub definitiv um etwas anderes ging als um
eine ältliche Katze in Berlin. Sie hatte so recht. Jule beschloß, sich keine
Sorgen mehr um Johnson zu machen, nicht weiter nachzufragen, das Hier und Jetzt
mit Lisbeth war wichtiger, zweifellos.
Hemingways Haus, nun Museum,
erweckte in beiden Frauen Neidgefühle. So zu leben, im Paradies, und dank der
eigenen Kreativität Geld noch und noch zu verdienen, berühmt zu sein, ja
weltberühmt, und das zu Lebzeiten, war beneidenswert genug. Seltsam, daß sich
Hemingway mit 63 Jahren erschossen hatte. Und auch irgendwie beruhigend, weil
Weltruhm, Kreativität und Paradies offenbar nicht alles waren im Leben. Lisbeth
wollte wissen, warum genau sich Hemingway erschossen hatte, aber Jule wußte es
nicht und schlug Angst vor dem Alter vor.
Dann müßten wir uns ja auch
schon längst erschossen haben, sagte Lisbeth. Was für ein eitler Geck!
Wir sind eben unbedeutend,
meinte Jule, wenn man so unbedeutend ist wie wir, kann man ruhig weiterleben,
es stört keinen.
Ich finde mich nicht
unbedeutend, antwortete Lisbeth. Ich hoffe doch sehr, daß ich dir was bedeute.
Ich würde gerne noch zwanzig Jahre mit dir verbringen, wenn dir das recht ist.
Jule nahm die Freundin gerührt
in die Arme. Lisbeth mochte das nicht und entzog sich der Zuneigungsgeste, wie
fast immer in der Öffentlichkeit.
Am neunten Februar fuhren
die Frauen auf der Küstenstraße nach Norden, nach Naples, einem blassen
Badeort, der außer sauberen Stränden, Golfplätzen und überteuerten Shopping-
Malls recht wenig zu bieten hatte. Die pittoresken Wasserkanäle am Rande der
Straßen, na gut, die konnte man erwähnen, und ein paar Vergnügungsparks für
Kinder. Das Fishing Pier ragte dreihundert Meter weit ins Meer hinaus,
zweihundert hätten es genauso getan. Angeblich lebten hier sehr viele
Millionäre. Und deutsche Rentner. Tatsächlich gab es etliche Luxusvillen zu
bewundern, aber das kulturelle Angebot schien mau. Die Konzerte in der
örtlichen Philharmonie – eine solche hatte man in Berlin auch, und ganz sicher
von höherem Niveau. Vor lauter Langeweile besuchten Jule und Lisbeth tagsüber
den botanischen Garten, und am Abend sahen sie sich im Cineplex einen Film an, A Single Man, in dem es um die Trauer eines homosexuellen
mittelalten Mannes ging, dessen noch jugendlicher Partner vor Monaten
verstorben war, und der nun, weil er darüber nicht hinwegkommt, seinen
Selbstmord plant. Stattdessen kommt ein neuer, noch jüngerer Mann daher, der
mittelalte Mann erleidet aber prompt einen Herzinfarkt und Ende Film.
Gekünstelter Unfug, meinte
Jule. Sowohl sie als auch Lisbeth waren enttäuscht, weil sie beide Julianne
Moore toll fanden, die – vom Filmplakat als Hauptdarstellerin angekündigt – im
Film dann aber gerade mal fünf Minuten zu sehen war.
Während sie darüber
redeten, bei einem Glas Wein an der Bar des Edgewater Beach Hotels, milderten
sie ihr strenges Urteil etwas ab und gaben zu, daß sie einfach nicht mit einer
homoerotischen Geschichte gerechnet hatten. Erst im Nachhinein identifizierten sie
sich selbst mit der Rolle jenes mittelalten Mannes, stellten sich vor, wie es
wäre, einen geliebten Partner zu verlieren, wenn man nicht mehr den Mut und die
Kraft für
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