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Die letzten schönen Tage

Die letzten schönen Tage

Titel: Die letzten schönen Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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verheiratet gewesen, noch
hatte sie je ein Kind geboren. Jule blickte oft neidisch auf Lisbeths straffe
Brüste und ihre immer noch vorhandene Taille. Bis ihr einfiel, daß sie
keinerlei Grund besaß, neidisch zu sein, viel eher froh sein mußte, denn wer,
wenn nicht zuallererst sie, durfte sich an Lisbeths gemaßregeltem Körper
erfreuen? Lisbeth hingegen haderte ständig mit sich, mißtraute jedem Gramm
Fett, hielt streng Diät und nahm ein paar Kohlehydrate allenfalls beim
Frühstück zu sich. Glücklicherweise stellte Lisbeth an Jule weitaus weniger
Anforderungen als an sich selbst. Es schien ihr völlig egal zu sein, wie viel
die Freundin aß, im Gegenteil, sie freute sich über deren Appetit. Nur
gewissenlosen Zuckerkonsum verurteilte sie in scharfer Form. (Zucker macht
nicht nur fett, sondern alt! Verklebt das Gehirn!)
    Lange lagen die beiden
Frauen wach nebeneinander und versuchten, an rein gar nichts zu denken, um dem
Schlaf möglichst wenig Widerstand entgegenzusetzen. Sie hörten sich gegenseitig
atmen und widerstanden der Lust, jenen scheinbar so friedvollen Atem für Worte
zu verwenden, obgleich sich hinter dem Atem allerhand Gedanken bereit machten.
Stets war zwischen ihnen alles Wesentliche wortlos verlaufen, in gegenseitigem
Einvernehmen.
    Am Morgen wurden sie per
Telefon geweckt und stellten fest, daß sie doch noch eingeschlafen waren, ja
daß sie sogar ganz gut geschlafen hatten, ohne zwischendurch ins Bad zu müssen.
Sie grinsten sich erleichtert an. Während Lisbeth ging, um ihre Haare zu
waschen, was sie an jedem zweiten Tag tat, fuhr Jule, die morgens um
Körperpflege nicht viel Aufhebens machte, mit dem Lift ins Restaurant, um schon
einmal das Buffet zu begutachten. Sie nahm sich schwarzen Tee und einen
Aprikosenplunder, ein wenig Rührei und Müsli mit Joghurt. Gern hätte sie auch
eine Scheibe gebratenen Krustenschinken zum Rührei genommen, nahm stattdessen
aber auf Lisbeths Empfinden Rücksicht. Dabei war Lisbeth noch im Bad und mit
ihrer Haarpracht beschäftigt, und Jule wußte genau, daß die Zeit locker
ausgereicht hätte, um sich die Scheibe Schinken unbeobachtet zu gönnen. Doch
genügte allein die Vorstellung, wie eine anwesende Lisbeth mit engen
Augenschlitzen auf den vor Fett glänzenden Schinken starren würde, um Jule die
Freude daran zu verderben.
    Während sie in ihrem Müsli
stocherte, machte sie sich Gedanken darüber, ob es vielleicht übertrieben war,
sich so viele Gedanken zu machen. Die Freude am Krustenschinken wäre pure
Freude am Krustenschinken gewesen, nicht etwa jene böse Freude, mit der man
eine Freundin hintergeht und austrickst. Jule war schon satt, als Lisbeth
endlich herunterkam und sich für Milchkaffee ohne Zucker und ein Croissant ohne
Füllung entschied. Und nur um Jule glücklich zu machen, genehmigte sie sich als
Nachspeise, sie war ja im Urlaub, ein Stückchen Apfeltarte, zeigte ihren guten
Willen, den besonderen Umständen, solche lagen zweifellos vor, Rechnung zu
tragen.
    Am milchweißen Strand gab
es Liegen zu mieten, für zwei Dollar die Stunde. Hätten die Frauen das Gold-
statt des Silberpakets gebucht, wären die Liegen im Preis inbegriffen gewesen,
so aber mußten sie zahlen, bevor sie sich der Sonne auslieferten.
    Sich gegenseitig den Rücken
einzucremen, war eine mehr als nur angenehme Notwendigkeit, doch achteten die
Frauen streng darauf, daß kein Badegast etwas von der Erotik mitbekam, die sie
dabei empfanden.
    Ist schön hier. Verdammt
schön.
    Wie im Katalog, so schön.
    Ich gehe schwimmen. Kommst du
mit?
    Nein.
    Warum nicht?
    Mir wäre lieber, wenn wir
beide hier einfach relaxen.
    Du willst nicht ins Wasser?
Warum?
    Jule sagte, daß im Vorjahr,
laut Wikipedia, nur ein paar Hundert Kilometer nördlich, in Smyrna Beach, die
meisten Hai-Attacken weltweit verzeichnet worden seien. Und Haie seien zwar
elegante und bewundernswerte Tiere, aber zu leicht machen müsse man es ihnen
auch nicht.
    Lisbeth reagierte mit Spott.
Was für ein Urlaub wäre das denn, wenn man sich aus Angst vor Haien um den Spaß
brächte, im Meer zu baden? Wie um Jule zu brüskieren, lief sie zum Wasser,
tauchte ihre Füße in die Gischt, schaufelte etliche Liter Atlantik auf ihre
Brust, bevor sie sich der noch zahmen Brandung überließ und hinausschwamm.
    Natürlich passierte
nichts, denn Jule hatte die Hai-Attacken ja explizit erwähnt, und ein Unglück
trifft immer nur jene, die nicht damit rechnen. Jule war dem Aberglauben
verfallen, dem Tod niedere menschliche

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