Die letzten schönen Tage
äußere Erscheinung
gelegt. Sie stand zu ihrem grauen Haar, ihrer fleckigen Haut, trug bequeme
Schuhe und Kleidung in gedeckten Farben. Neben der ingwerblonden, braun
gebrannten Lisbeth kam sie sich oft verlebt vor, fand das aber so natürlich,
daß sie etwaige Gegenmaßnahmen als albern und eitel verurteilte. Während des
Fluges plagte Jule die Angst, nicht ins Land gelassen zu werden, nur weil sie
vor etlichen Jahrzehnten einmal Mitglied in einem marxistischen Studentenbund
gewesen war. In der Zeitung hatte sie jüngst gelesen, daß dem ehemaligen
Vizevorsitzenden des SDS die Einreise in die USA verweigert wurde, dabei war die Rede von einem schon achtzig Jahre alten
Menschen. Lisbeth gegenüber erwähnte sie von all dem kein Wort, was hätte es
auch genutzt? Dennoch fühlte sich Jule sehr unbehaglich, und als der Beamte am
Schalter sie durchwinkte, ohne ihren Paß genauer zu begutachten, fiel ihr eine
Zentnerlast von den Schultern. Endlich konnte sie der Freundin erzählen, was sie
so bedrückt hatte. Lisbeth, ein ganz und gar unpolitischer Mensch, schüttelte
nur den Kopf und meinte, Jule hätte mal wieder übertrieben, sie fügte hinzu: gnadenlos. Was immer das Wort an dieser Stelle bedeuten mochte.
Nach der Gepäckausgabe
gingen die beiden zum Parkhaus, wo ihnen der Schlüssel des Mietwagens
ausgehändigt wurde, ein bordeauxroter, viertüriger Dodge Caravan. Sie hatten
etwas nicht zu Großes, aber Bulliges, Kompaktes bestellt, in dem man sich
sicher fühlen konnte. Jule, die eine Automatikschaltung bereits gewohnt war,
übernahm das Steuer. Sie fuhren direkt zum Hotel, hielten nur kurz bei einem
Kiosk an, um Getränke zu kaufen, Orangensaft für Jule, stilles Wasser für
Lisbeth. Sie wollten sparsam sein und keine Minibarpreise bezahlen. Es war später
Nachmittag in Miami, das Thermometer zeigte 23 Grad und der Himmel kaum ein
Wölkchen. Ruhig, fast spiegelglatt und blaugrün, wie im Prospekt, lag das Meer
vor der Stadt. Die Frauen blinzelten der Sonne entgegen, freuten sich am
Gleißen und Glitzern der Lichter auf dem Wasser. Eben hatten sie noch gefroren,
im härtesten Berliner Winter seit 1978, jetzt sahen sie einander zufrieden an,
als habe sich die Reise mit jenem Anblick allein schon gelohnt.
Das Dezerland Beach Hotel
fand sich etwas nördlich der City, in der 87. Straße, und entsprach in etwa
dem, was man sich aufgrund der Fotos hatte erhoffen dürfen. Es gab einen
Swimmingpool, ein Fitneßcenter und zwei Tennisplätze. Das Zimmer lag im
sechsten Stock, was Ruhe und Insektenfreiheit verhieß. Die Betten waren sogar
überaus bequem, und zwei Flaschen stilles Wasser gab es als Geschenk des
Hauses. Jule bestellte einen Weckruf für acht Uhr morgens. In stiller Vorfreude
auf das Frühstücksbuffet aß sie einen halben Apfel, den sie sich aufgehoben
hatte, und überlegte sogar, die Tüte Chips aus der Minibar zu öffnen, so viel
Appetit verspürte sie plötzlich. Aber zu schlafen, mit dem Jetlag fertig zu
werden, war wichtiger. Nacheinander gingen die Frauen ins Bad, um Zähne zu
putzen. Beide waren nicht wirklich müde, nur körperlich erschöpft, verspannt.
Sie suchten ihre Aufgedrehtheit voreinander zu verbergen, in der Annahme, der
jeweils anderen könne zu viel Wepsigkeit auf die Nerven fallen. Sie schalteten
den Fernseher ein, nicht, um etwas anzusehen, eher um das Angebot zu
begutachten, und zappten quer durch die ersten achtzig Kanäle, dann löschte
Lisbeth das Licht und wünschte guten Schlaf. Kurz griff sie Jule mit zwei
Fingern ins Haar und drückte ihr einen Kuß auf die Stirn. Bis auf das leise,
kaum wahrnehmbare Surren der Klimaanlage herrschte Stille. Nur ab und an drang
ein fernes Johlen vom Strand zu ihnen herauf.
Es war das erste Mal, daß
sie eine ganze Nacht im selben Bett verbrachten. Beide hatten Angst davor
gehabt. Sie waren daran gewöhnt, allein zu schlafen, und während Jule
grundsätzlich bei offenem Fenster schlief, hielt es Lisbeth umgekehrt, da sie
beim geringsten Geräusch wach wurde. Lisbeth hatte Jule mehrmals gefragt, ob
sie eventuell schnarchte, und Jule hatte ihr keine Antwort darauf geben können,
sie wußte es einfach nicht. Während ihrer neun Jahre dauernden Ehe mit Richard
hatte sich der nie beschwert, aber das mußte nichts heißen, denn Richard hatte,
wenn er erst einmal eingeschlafen war, geschlafen wie ein Stein. Lisbeth hielt
für den schlimmsten Fall teure, sehr bequeme Ohrstöpsel bereit, wie sie
Leistungsschwimmerinnen benutzen. Lisbeth war nie
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