Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
von Köln nach Amsterdam oder Paris fahren, ohne an der Grenze aufgehalten zu werden. Das hat mir gut gefallen. Ich war auch sehr für den Euro, nicht wegen seiner integrativen Kraft, sondern weil ich es praktisch fand, in Dinkelsbühl, St. Pölten, Alkmaar, Montebelluna und Deauville mit derselben Währung bezahlen zu können. Ich gebe zu, ich habe mir über den Preis, den diese Bequemlichkeit fordert, keine Gedanken gemacht. Die da in Brüssel würden schon wissen, was sie tun. Auch wenn eine Pizza bei meinem Italiener in der Bleibtreustraße vor der Umstellung sechs Mark gekostet hat und danach sechs Euro, also das Doppelte.
Und wenn sich jemand über die Brüsseler Bürokratie mokierte, über die Regelung zur Krümmung der Salatgurke, so habe ich das als vernachlässigbare Schrulle abgetan. Denn, so glaubte ich, mit mir hat das alles gar nichts zu tun.
Mein Moment der Erleuchtung kam Anfang August 2012, als ich beim Zappen in eine Sendung des ZDF mit dem Titel »Giftiges Licht« geriet, eine 30-Minuten-Dokumentation über die Entstehungsgeschichte der Energiesparlampe, die auf Beschluss der Europäischen Kommission zum 1. September 2012 die konventionelle Glühbirne ersetzen sollte. Wohlgemerkt, es war keine Empfehlung, sondern eine verbindliche Verordnung, mit der den Einwohnern der 27 EU -Staaten die Benutzung der alten Glühbirne untersagt und die Benutzung der neuen Energiesparlampe vorgeschrieben wurde. Auch die neu hinzugekommenen Kroaten dürfen jetzt ihre Glühbirnen aussortieren. In der ZDF -Doku ging es vor allem um die Tatsache, dass die Energiesparlampe Quecksilber enthält, das extrem gesundheitsschädlich ist. Deswegen darf die Energiesparlampe nicht einfach weggeworfen, sie muss fachmännisch, unter erheblichem Aufwand entsorgt werden.
Hätte die EU -Kommission beschlossen, dass jeder EU -Bürger einmal am Tag den Atem für drei Minuten anhalten soll, um den globalen CO 2 -Ausstoß zu reduzieren, wäre dies nicht weniger absurd gewesen. Hinter dem Beschluss der Kommission standen zwei Hersteller, die sich von der »Reform« ein Milliardengeschäft versprachen. Der Besitzer des Haushaltsladens, bei dem ich immer einkaufe, hatte freilich vorgesorgt und einige Tausend Glühbirnen auf Vorrat gebunkert, eine kluge Maßnahme, die seine Stammkunden bis heute zu schätzen wissen. Ich fand es unfassbar, dass ein paar Brüsseler Kommissare in der Lage sind, Millionen von Bürgern zu diktieren, welche Glühbirnen sie benutzen sollen. »Charity begins at home«, sagen die Briten, Wohltätigkeit fängt zu Hause an. Die Herrschaft der Brüsseler Technokraten auch.
Inzwischen weiß man, dass die Energiesparlampe nicht nur gefährlich ist, sondern auch keinen Beitrag zur Energieersparnis leistet. Ihre Benutzer neigen dazu, sie länger brennen zu lassen, weil sie ja »weniger« Energie verbraucht. Am Ende ist es bestenfalls ein energiepolitisches Nullsummenspiel, das mit einem gigantischen Aufwand inszeniert wurde. Nein, so haben sich Konrad Adenauer und Robert Schuman die europäische Integration bestimmt nicht vorgestellt: eine Bürokratur, die vor allem für sich selbst sorgt, ein Super-Staat mit einer Quasi-Regierung, einem Quasi-Parlament und einem Parlamentspräsidenten, der sich über den Charakter des Projekts im Klaren ist. »Wäre die EU ein Staat, der die Aufnahme in die EU beantragen würde«, sagt Martin Schulz, »müsste der Antrag zurückgewiesen werden – aus Mangel an demokratischer Substanz.«
Meine Neugier war mit der Geschichte über die Energiesparlampe geweckt. Seitdem beobachte ich genau, wer da tagaus tagein über Europa, den Euro, die Krise usw. schwadroniert. Ich schaue den Eurokraten, die vorgeben, nur unser Bestes zu wollen, »aufs Maul«, wie man in Bayern sagt. Ich fürchte, eine weitere menschenbeglückende Idee ist im Begriff, totalitäre Züge anzunehmen. Und ich weiß, jeder Dammbruch fängt mit einem Haarriss an. Einem winzigen Haarriss, der entweder übersehen oder nicht ernst genommen wird.
Im Jahre 1986 explodierte die Raumfähre Challenger 73 Sekunden nach dem Start in 15 Kilometer Höhe, weil ein Dichtungsring in einer der Feststoffraketen defekt war. Bevor eine Concorde im Juli 2000 in der Nähe der Flughafens Charles de Gaulle beim Start abstürzte, gab es schon über einhundert »Zwischenfälle« – von geplatzten Reifen bis zu Schäden an den Treibstofftanks – , die den zuständigen französischen Stellen bekannt waren, ohne dass etwas unternommen worden wäre.
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