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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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kann einer Bank die Bilanz verhageln. Die Alternative zur Realwirtschaft heißt Finanzwirtschaft. Wird in der Realwirtschaft aus einem Baum ein Tisch gemacht, aus einem Rind Tafelspitz und aus Aprikosen Marillenschnaps, macht man in der Finanzwirtschaft Geld mit Geld.
    Im Falle der Banken, denen die EZB mit Milliardenkrediten zu Hilfe kam, bedeutet das: Sie wurden in die Lage versetzt, »ihre Bilanzen aufzupolieren«; indem sie sich gegenseitig Geld leihen, gehen sowohl die Umsätze wie die Gewinne in die Höhe. Dabei ist alles nur eine Frage der Buchhaltung. Das Verfahren funktioniert, solange das Geld den Bankenkreislauf nicht verlässt, also mit der Realwirtschaft nicht in Verbindung kommt.
    Man kann das am besten mit einer alten jüdischen Anekdote erklären:
    Schlomo besucht Mosche und sieht in dessen Wohnzimmer ein Bild an der Wand, das ihm gut gefällt. »Ich kaufe dir das Bild ab«, sagt Mosche. »Was willst du dafür haben?« Man einigt sich auf 100 Rubel. Ein paar Wochen später kommt Mosche zu Schlomo, sieht das Bild an der Wand hängen und sagt: »Ich möchte es zurückhaben.« – »Geht in Ordnung«, sagt Schlomo, »aber es ist jetzt mehr wert, als ich dir dafür gegeben habe.« Für 120 Rubel bekommt Mosche sein Bild zurück. Ein paar Wochen später besucht Schlomo wieder seinen Freund Mosche. Das Bild hängt im Salon über dem Kamin und sieht prächtig aus. Schlomo will es wieder haben. Diesmal verlangt Mosche 150 Rubel, Schlomo zahlt und nimmt das Bild gleich mit.
    Und so geht es weiter, immer hin und her. Bis Schlomo eines Tages zu Mosche kommt und mit Entsetzen feststellen muss, dass das Bild weg ist. »Mosche, was hast du mit dem Bild gemacht?« – »Ich habe es an Rafi verkauft, für 200 Rubel.« – »Wie konntest du nur?«, ruft Schlomo verzweifelt. »Jetzt hast du unser schönes Geschäft kaputtgemacht!«
    Und so machen es auch die Banken untereinander, nur ist das Rad, das sie drehen, viel größer. Aber das Prinzip ist dasselbe. Umsätze und Gewinne werden in einem geschlossenen System generiert. In der realen Welt geht es nur in Swinger-Clubs ähnlich zu: A treibt es mit B, B mit C, C mit D und so weiter, bis der Letzte wieder beim Ersten landet. Die Idee ist nicht neu. Arthur Schnitzler hat sie zu einem Bühnenstück verarbeitet: »Der Reigen«.
    Die SZ hat ihren Bericht über den Milliarden-Segen der EZB mit der Frage »Warum brauchen die Banken so viel Geld?« überschrieben und mit einem Foto illustriert, auf dem ein Stapel frisch gedruckten Geldes zu sehen ist. So stellt sich der gemeine SZ -Redakteur den finanzpolitischen Urknall vor – Paletten voller Geld.
    Tatsächlich wird nur das Geld gedruckt, das für den Bargeldumlauf benötigt wird und einen sehr kleinen Teil der gesamten Geldmenge ausmacht. Das Geld, das die EZB an die Banken verteilt, steht nur in den Bilanzen. Es muss nicht einmal gedruckt werden. Die EZB schreibt es sich selber gut und teilt es dann den Banken zu. Ob es dabei um Milliarden oder Billionen geht, spielt keine Rolle. Es ist virtuelles Geld, mit dem virtuelle Geschäfte gemacht werden.
    Das alles hört sich vollkommen verrückt an, aber so-lange es funktioniert, profitieren alle davon. Kritisch wird es nur, wenn an irgendeiner Stelle der Kreislauf unterbrochen wird. Als 1974 die Herstatt-Bank in Köln Pleite machte, weil sich ein Devisenhändler verspekuliert hatte, rannten meine Eltern zur Sparkasse in Köln, ließen sich ihr Erspartes auszahlen, zählten das Geld nach und legten es sofort wieder in einem Sparbuch an. Es war ja noch alles da.
    Dabei lernt jeder Student der Volkswirtschaft gleich im ersten Semester, dass es Geld, im Gegensatz zu Gold, gar nicht gibt. Es ist nur der materielle Ausdruck eines Übereinkommens, das auf Vertrauen basiert. Deswegen werden im Falle einer Krise, wie zuletzt in Zypern, als Erstes die Konten eingefroren, Auszahlungen und Überweisungen unterbunden. Ein »Bank Run« ist der Alptraum eines jeden Finanzministers. Würden alle Bankkunden ihre Konten zur selben Zeit abräumen, würde das System sofort zusammenbrechen. So wie der Verkehr zum Stillstand käme, wenn alle Autobesitzer ihre Autos zeitgleich in Bewegung setzen würden. Das sind alles Allgemeinplätze, wie der Satz, dass »die Armut von der Poverte« kommt und dass man »lieber reich und gesund als arm und krank« sein möchte. Aber sie bringen das auf den Punkt, wozu Scharen von Experten Jahre brauchen, um eine Hypothese zu validieren. Ein aktuelles Beispiel von

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