Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
geschickter anstellen. Ich würde ihn zu mir auf einen Tee einladen und ihn davon überzeugen, dass es in seinem Interesse ist, mir unter die Arme zu greifen. Er möchte doch, würde ich sagen, keinen Nachbarn haben, der sein Haus verkommen lässt, weil das auch den Wert der anderen Häuser in der Nachbarschaft mindern würde. Vor allem möchte er nicht, dass ich eine Etage meines Hauses untervermiete, um meine Finanzen aufzubessern, man könne doch nie wissen, wer da einziehen würde. Im schlimmsten Fall könnten es Leute sein, die ihren Müll über den Zaun werfen, auf das Grundstück des Nachbarn! Es sei auch in seinem Interesse, dass es mir gut gehe, denn wenn es mir nicht gut gehe, würde ich zu Handlungen neigen, die ich später bereuen könnte.
Unter solchen Umständen wird mein Nachbar nicht zögern, mir seine Hilfe anzubieten. Kein Bargeld, das wäre demütigend, nein, Hilfe zur Selbsthilfe. Er wird vorschlagen, die Müllabfuhrgebühr für mich zu bezahlen, er wird mir seine Putzfrau und seinen Rasenmäher zur Verfügung stellen, denn er hat begriffen: Sein Wohlergehen hängt mit meinem Wohlergehen zusammen.
Wenn alles gut geht, werde ich ihm später vorschlagen, unsere Kooperation zu erweitern. Wir sollten, werde ich sagen, unsere Einnahmen zusammenlegen und unsere Ausgaben koordinieren. Einerseits verdient er mehr als ich, andererseits gebe ich weniger aus als er. Von einem solchen Deal würden wir beide profitieren. Ich würde unterm Strich mehr einnehmen, er weniger ausgeben. Win-win! Jetzt bräuchte das Ganze nur noch einen Namen. Wie wäre es mit »Um FAIR teilung«? War das nicht auch das Motto einer Kampagne für mehr soziale Gerechtigkeit, getragen von der Gewerkschaft Ver.di, den Grünen und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband unter der Führung von Ulrich Schneider?
Genau dieses Spiel wird in der EU gespielt. Es sind 28 Länder, die sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengetan haben. Von Polen bis Portugal, von Finnland bis Malta. Die »Vereinigten Staaten von Europa« sind das größte europäische Reich seit Karl dem Großen, der zu beiden Seiten des Rheins als Urahne verehrt wird. Bereits Ende des 8. Jahrhunderts wurde er zum Pater Europae , dem Vater Europas, erklärt. Lange vor Konrad Adenauer, Robert Schuman, Jean Monnet, Edmund Stoiber und Herman Van Rompuy.
Siebzehn dieser Länder haben eine gemeinsame Währung. Ein Bergsteiger würde sagen, sie bilden eine Seilschaft, bei der jeder für alle und alle für jeden haften. Strauchelt einer, müssen ihn die anderen auffangen, wenn sie nicht selber abstürzen wollen. Medizinisch gesehen sind fünf dieser siebzehn Länder bereits Pflegefälle Stufe 2, Stand März 2013; bis zum Erscheinen dieses Buches könnten es noch mehr werden: Portugal, Spanien, Griechenland, Irland und Zypern. Italien und Frankreich balancieren am Rand des Abgrunds, richtig gesund sind nur vier: Deutschland, Finnland, Luxemburg und Österreich. Allen übrigen geht es »den Umständen entsprechend«, das heißt mal mehr und mal weniger schlecht. Die Situation ist also sehr »komplex«, und man muss schon ordentlich »differenzieren«, wenn man »Generalisierungen« vermeiden will.
Jetzt stellen Sie sich ein ganz normales Mietshaus mit 17 Parteien vor. Fünf von ihnen leben von der Stütze und sind nicht in der Lage, die Umlagen für Heizung, Müllabfuhr, Reparaturen, Treppenreinigung etc. zu bezahlen. Vier haben ein geregeltes Einkommen. Die Übrigen kommen mit Ach und Krach über die Runden und sind froh, wenn sie am Ultimo noch ein paar Groschen in der Haushaltskasse haben. Würden Sie in einem solchen Haus leben wollen? Möchten Sie im Namen der Hausgemeinschaft bei einer Bank vorstellig werden und um einen Kredit zur Finanzierung einer neuen Heizungsanlage bitten? Welche Sicherheiten hätten Sie anzubieten?
Sie leben aber nicht nur in einem solchen Haus, Sie haben es auch jeden Tag mit Politikern und Medienvertretern zu tun, die von diesem »Modell« begeistert sind. Es sei, sagen sie, wegweisend für die Zukunft, es müsse noch viel mehr solcher Häuser geben. Es stimme zwar, dass die finanzielle Situation prekär sei, dafür aber gebe es wenig Animositäten unter den Bewohnern. Man habe sogar im Laufe der Zeit so etwas Ähnliches wie ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickelt, dieses Gefühl müsse erhalten bleiben, ja gefördert werden, denn sonst bestehe die Gefahr, dass die Einwohner des Hauses übereinander herfallen. Der Hausfrieden stehe auf dem
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