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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk M. Broder
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-Parlaments, Martin Schulz aus Würselen bei Aachen, warnte davor, die Bürger vor den Kopf zu stoßen. »Wenn wir nicht riskieren wollen, dass die Menschen sich immer mehr von der Idee Europa abwenden, dann müssen wir eine Politik machen, die verständlich ist.« Auch das war nicht ganz daneben, wenn man mal davon absieht, dass die Forderung, eine Politik zu machen, die verständlich ist, zu den Binsenweisheiten gehört, die seit den Tagen der »res publica« vor zweieinhalbtausend Jahren in jeder Rede genannt werden. Immerhin gab Schulz mit seiner Forderung zu, dass die Politik, die in Brüssel gemacht wird, nur noch von denjenigen verstanden wird, die sie machen. Und auch das nicht von allen und nicht immer. »Häufig erreichen wir als Handelnde auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene die Menschen nicht mehr.«
    Auch der listige luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, einer der erfahrensten Europapolitiker, sah dunkle Streifen am Horizont aufziehen, die bis jetzt niemand bemerkt hatte: »Ich schließe nicht aus, dass wir Gefahr laufen, eine soziale Revolution zu erleben«, die Haushalte der EU -Staaten müssten zwar saniert werden, aber so, dass die »Sparmaßnahmen dem Wachstum nicht schaden«. Bei Anwendung der Sparregeln sei »eine gewisse geistige und handwerkliche Geschmeidigkeit« vonnöten. Was er sagen wollte, war: Regeln können freihändig ausgelegt, umgangen, notfalls auch gebrochen werden, man muss es nur geschickt anstellen.
    Den Vogel in Sachen Klarheit, Entschlossenheit und Gradlinigkeit schoss aber die deutsche Kanzlerin ab. Am Ende des Frühjahrsgipfels trat Angela Merkel vor die wartenden Kameras und erklärte: »Wir haben einen Wachstumspakt im Sommer vergangenen Jahres verabschiedet und jetzt wird es darum gehen, dass dieser Wachstumspakt auch mit Leben erfüllt wird … Das Geld ist da und jetzt muss das Geld zu den Menschen kommen, damit die jungen Menschen in Europa Jobs bekommen.«
    Einen »Wachtstumspakt« mit Leben zu erfüllen, ist in der Tat eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, dient ein »Wachstumspakt« doch seinerseits dem Zweck, Impulse zu vermitteln, damit eine schwache oder marode Ökonomie ihrerseits auf die Beine kommt und wieder laufen kann. Nur die Aufgabe, einer Mumie Leben einzuhauchen, wäre noch anspruchsvoller. Man muss sich auch fragen, warum angesichts einer katastrophalen Jugendarbeitslosigkeit in Italien, Griechenland und Spanien ein »Wachstumspakt«, der im Sommer 2012 beschlossen wurde, erst im Frühjahr 2013 auf den Weg gebracht wird. Was hat das Geld, das nun »zu den Menschen kommen« soll, die ganze Zeit gemacht? Hat es in einem Café gesessen und Latte macchiato getrunken? Musste es erst eine Weile abhängen wie Parma-Schinken? Würde Angela Merkel es nicht seltsam finden, wenn sie seit dem Sommer letzten Jahres kein Gehalt überwiesen bekommen hätte?
    An Geld jedenfalls herrscht kein Mangel. Zweimal im Laufe des vergangenen Jahres hat die Europäische Zentralbank den Banken in den EU -Ländern sehr viel Geld zu extrem günstigen Konditionen zur Verfügung gestellt, zusammen fast eine Billion (tausend Milliarden) Euro für eine Laufzeit von drei Jahren zu einem Zinssatz von einem Prozent. Die EZB habe, schrieben die Zeitungen, den Markt mit Geld »geflutet«, während zur selben Zeit kleine und mittelständische Betriebe klagten, dass es immer schwieriger würde, Kredite zu bekommen. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch erscheint, kann relativ einfach erklärt werden. »Die Rekord-Finanzspritze soll eine Kreditklemme verhindern«, hieß es in einem Expertenbericht der SZ . Denn: »Die Banken leihen sich derzeit aus Angst vor Risiken in den Bilanzen kaum mehr gegenseitig Geld.« Ein zu Rate gezogener Analyst meinte, die EZB -Mittel würden den Banken helfen, »ihre Bilanzen aufzupolieren«, die Frage sei nur, »warum sie so viel Geld brauchen«. Der Präsident der EZB , Mario Draghi, stellte klar, die Banken würden selbst darüber entscheiden, »was sie mit den frischen Mitteln machen«, man erwarte aber, »dass sie mit dem Geld die Realwirtschaft finanzierten«.
    Der Ex-Goldman-Sachs-Banker Mario Draghi tat so, als habe er ein lange gehütetes Geheimnis verraten: Die Banken sollen die Realwirtschaft finanzieren, aber ob sie es wirklich tun, das entscheiden sie nach eigenem Gutdünken. Denn die Realwirtschaft steckt voller realer Risiken. Firmen können Pleite gehen, faule Kredite müssen als Verluste abgeschrieben werden, das

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