Die Leute mit dem Sonnenstich
feierlich, junger Freund!« sagte Herr Keyser sehr ernst. »Auf jeden Fall aber rate ich Ihnen, von jetzt an Ihr Zelt tüchtig abzuleuchten, bevor Sie sich niederlegen!« Es war nicht zu verkennen, daß Herrn Steffens unerschütterliche Neigung und Hoffnung auf Marions Hand den Vater dieses allzu scherzhaft aufgelegten Mädchens tief beeindruckte und um so fester zum Verbündeten seines Juniorpartners machte.
Während die Herren sich ihre Nachmittagszigarren anbrannten — drei pro Tag hatte Marion ihrem Alten Herrn zu rauchen gestattet —, kam sie mit dem blanken Geschirr vom Ufer herauf. Sie stellte die Töpfe und Becher ab und schaute zum Himmel auf.
»Das Wetter kommt herauf!« rief sie fröhlich. »Und wir werden die Zelte aufschlagen, Herr Steffen! Der Lagerplatz ist hier geradezu ideal. Windgeschützt durch die Bäume und Sträucher und kiesig genug, daß das Wasser rasch versickern kann, wenn auch der Regen die ganze Nacht auf die Zelte trommelt. Also, avanti, meine Herren!«
»Von solch einer Nacht träume ich, seit wir unterwegs sind«, behauptete Thomas Steffen, ohne bei dieser faustdicken Lüge an seiner Zigarre zu ersticken, »aber leider wird es nicht zum Regnen kommen.«
Herr Keyser bestätigte diese Ansicht durch ein entschiedenes Kopfnicken, wobei er sich bemühte, enttäuscht auszusehen.
»Aber das Gewitter liegt doch in der Luft!« rief Marion.
»Mein liebes Kind«, widersprach der Vater mit der gelangweilten Sicherheit eines berufsmäßigen Meteorologen, »ich beobachte die Wolkenwand jetzt seit einer geschlagenen Stunde. Sie zieht nach Norden ab und ist uns bislang auch nicht um eine Handbreit näher gerückt. Und außerdem kenne ich die Wetterverhältnisse dieses Landes rund fünfunddreißig Jahre länger als du.«
»Immer diese albernen fünfunddreißig Jahre, die du mir voraushast!« sagte Marion unwillig. »Das habe ich schon zu oft gehört, als daß es auf mich noch Eindruck machen könnte.«
Aber auch Steffen nickte wie ein Mann, der in seinen schönsten Hoffnungen betrogen wurde: »Ich muß Ihrem Herrn Vater leider recht geben — und dabei hatte ich mich so auf eine erfrischende Abwechslung auf unserer Fahrt gefreut. Aber die Wolken ziehen nach Norden ab. Höchs-tens, daß sich der Wind dreht — wenn wir Glück haben und ein wenig warten wollen.«
Ein heimlicher, von Marion nicht bemerkter Fußtritt Direktor Keysers ließ ihn rasch verstummen, ehe er sich in seine Begeisterung für eine Gewitternacht im Freien so weit hineinlog, daß er zuletzt selber an die Vorzüge solch eines Regenbiwaks zu glauben begann.
Marion beobachtete aufmerksam das Gewölk.
»Deine Kochkunst in allen Ehren, Mariönle!« rief Herr Keyser überlaut und eindringlich, um seine abenteuerhungrige Tochter von ihren Beobachtungen abzulenken. »Wie du gestern abend die Würstchen warm gemacht hast, heißa, das war schon ein Genuß! Und erst deine Eierspeisen! Mein Wort, Marion, ich habe in meinem ganzen Leben noch niemals so wundervoll hartgekochte Eier gegessen wie auf dieser wundervollen Fahrt. Und ich muß auch der Wahrheit die Ehre geben, daß mir deine Kost ausgezeichnet bekommt. Vor einer Minute hat Herr Steffen ganz spontan festgestellt, daß ich mindestens zwanzig Pfund geschmissen habe und glänzend aussehe. Nicht wahr, lieber Steffen? Aber vielleicht sind harte Eier und trockene Büchsenwürstchen zu zwei Mahlzeiten täglich — und das nun schon seit acht Tagen — doch nicht ganz das Richtige. Hm, was meinen Sie dazu, lieber Steffen?«
»Oh — ich — ich habe mich noch nie in meinem Leben so wohl gefühlt wie in den letzten Tagen!« beteuerte Herr Steffen feige. Ach, unter Marions eigentümlichem, stahlblauem Blick hätte er auch jeden anderen Meineid bedenkenlos auf sich genommen.
Herr Keyser ballte über diesen glatten Verrat heimlich die Fäuste. »Aber einmal, ein einzigesmal nur, möchte ich sündigen, Marion!« fuhr er fast flehend fort. Und wahrhaftig, in seinen Augen glänzte eine irrsinnige, unbezähmbare Gier auf, wie bei einem notorischen Säufer in den ersten Tagen der Entziehungskur der zwingende Drang nach der Flasche. »Ein wenig Fleisch, Marion! Ein Stückchen Schinken nur in einer guten Burgundersoße! Oder zwei Scheibchen von einer zarten Hammelkeule, gerade jetzt, wo es Spargel und junge Erbsen in Hülle und Fülle gibt. Spargel, Marion, hörst du? Spargel in Buttertunke mit hartem Eigelb überstreut. Oder Schleie in Dill! Hach — was sagen Sie dazu, Steffen?«
Dem
Weitere Kostenlose Bücher