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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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entschwundenen Boot in die Finsternis nachstarrte, war ein Antlitz, vor dem jeder Mensch, der dessen zufällig ansichtig geworden wäre, unwillkürlich die Augen zugekniffen hätte, weil er davon überzeugt gewesen wäre, das Opfer einer Halluzination zu sein. Es war das Gesicht einer Wachsfigur, die zu lange in der prallen Sonne gestanden hatte, eine schreckliche Maske der Hoffnungslosigkeit.
    »Marion!« schrie Herr Keyser. »Ich stehe bis an den Hals im Wasser!«
    »Komm zwei Schritte näher zu mir, dann reicht es dir nur noch bis zur Brust!« antwortete Marion wütend. Denn wer war an allem schuld, wenn nicht der Alte Herr mit seinen verdammten Gelüsten!
    In diesem Augenblick aber zuckte der weiße Lichtstrahl einer elektrischen Taschenlampe vor ihnen auf.
    »Menschen in der Nähe!« seufzte Herr Keyser auf und stapfte dem rettenden tröstlichen Licht entgegen.
    »Hallo! Ist dort jemand?« rief eine Männerstimme, und der Rufer in der Dunkelheit lenkte den Lichtkegel suchend über die Wasserfläche, bis der Schein der Lampe auf die kleine Menschengruppe traf.
    Der Laternenträger war selbstverständlich Michael Prack. Er ließ den Lichtstrahl nacheinander über Marion, ihren Vater und Herrn Thomas Steffen tanzen, leuchtete schließlich den Alten Herrn mit besonderer Sorgfalt ab und fragte ihn, da er ihn für den Anführer des Unternehmens hielt, ob er denn total wahnsinnig geworden sei, in diesem Hundewetter Faltboot zu fahren!
    »Ich nicht!« erwiderte Herr Keyser matt und deutete mit dem blauen Sitzkissen, das er für alle Fälle bei sich trug, auf seine Tochter Marion hin.
    Sie stand trotzig, mit triefenden Haaren, hüfttief im Wasser und bemühte sich mit aller Kraft, das vollgesoffene Boot ans Ufer zu zerren.
    Herr Steffen bot ein Bild tiefsten Jammers, in Haltung und Miene eine Darstellung des Mannes, dem alle Felle weggeschwommen sind.
    »Also los! Nun machen Sie aber ein bißchen fix!« knurrte Michael, der gleichfalls nur sehr mangelhaft bekleidet war, eben so, wie er vor wenigen Minuten, durch fremde Stimmen geweckt, aus dem Schlafsack und Zelt gekrochen war, wohin er sich grollend zurückgezogen hatte.
    »Stehen Sie nicht herum wie ein Nachtwächter, sondern helfen Sie mir lieber!« fauchte Marion ihn an.
    »Ich ins kalte Wasser? Ich denke nicht daran! Werden Sie mit Ihrem verdammten Kram gefälligst allein fertig! Und außerdem stehen ja zwei Männer um Sie herum.«
    »Männer?« zischte Marion höhnisch. »Flaschen!« Und sie riß mit einer gewaltigen Anstrengung das Boot von einem unsichtbaren, unter Wasser liegenden Widerstand los.
    »Ich habe mein Boot verloren — mit allen Sachen!« stotterte Steffen, als wäre durch diese Tatsache sein augenblicklicher Narkosezustand hinreichend entschuldigt. Er bewegte hilflos die Arme und sah wie ein flügellahmer Kranich aus.
    »Wenn das Boot nicht abgesoffen ist, wird es bei Tage schon irgendwo aufgefischt werden«, tröstete Michael. »Aber los, machen Sie schon, kommen Sie endlich ‘raus und helfen Sie Ihrer jungen Frau mal ein bißchen!« Da Steffen in seiner Verlegenheit ob der Beförderung zum Gatten Marions blindlings herumtappte, griff Michael selber nach der Bootsleine, die Marion ans Ufer geworfen hatte, und zog den Zweier mit einem Ruck durchs Schilf an Land.
    »Kippen Sie den Kahn um!« befahl er ungeduldig. »Sie können sich den Schaden ansehen, wenn das Gewitter vorübergezogen ist. Kommen Sie jetzt endlich! Ich habe keine Lust, hier stundenlang im strömenden Regen herumzustehen.«
    »Sie scheinen Ihre Höflichkeit auf der Baumschule bezogen zu haben!« stellte Marion scharf und spitz fest.
    »Um Gottes willen, vergräme mir den braven Mann nicht!« flüsterte ihr Vater ihr zu.
    Michael hatte sich umgedreht und ging der kleinen Gesellschaft einfach davon. Herr Keyser, der nachtblind war, tastete sich in der Dunkelheit mit vorgestreckten Armen über das unbekannte, steinige Gelände hinter ihm her. Marion beschloß den Zug. Sie hatte Steffen in der Eile mit den allernotwendigsten Sachen bepackt, den Schlafsäcken für sich und ihren Vater, mit ein paar Zeltbahnen und ein wenig Geschirr.
    »Und wenn du dir einbildest, mein Kind«, stieß Herr Keyser im Vorwärtsstapfen mit frost- und wutzitternder Stimme, die nur durch erbarmungswürdige Niesanfälle unterbrochen wurde, grollend hervor, »daß ich diesen Freiluftsport auch nur noch eine Minute länger mitmache, dann irrst du dich! Ich habe die Nase davon gestrichen voll! Ich gehe, hast du

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