Die Leute mit dem Sonnenstich
verloren, und Herr Keyser befürchtete für seinen Sozius schon das Schlimmste. Erschwerend kam hinzu, daß Herr Steffen von ihm zu dieser Höllenfahrt verleitet worden war. Würde er sich ewig um ein junges, blühendes Leben Vorwürfe machen müssen?
Es war für ihn eine Erlösung, als auf seine Rufe wieder Antwort aus der Finsternis kam und Steffen zu ihnen stieß. Er war in voller Fahrt auf eine Sandbank gerannt, und seine Stimme war noch ganz heiser von dem überstandenen Schrecken, denn um ein Haar hätte es ihn geworfen, aber dem Boot war nichts passiert, es hielt dicht, Gott sei Dank!
»Halten Sie sich dicht hinter uns«, schrie Marion ihm zu, »und bleiben Sie gefälligst in der Strommitte, bis die Lichter von Neuburg auf tauchen! Und dann geben Sie acht, daß Sie noch vor der Brücke ans rechte Ufer kommen!«
»Wie lange noch?« schrie er herüber.
»Keine blasse Ahnung! Aber wir werden das Nest schon nicht übersehen!«
»Weshalb booten wir uns nicht früher aus?«
»Karte verloren! Weiß nicht, wo wir einen Landungsplatz finden sollen. Rechts und links sind glatte und steile Überflutungsdämme.«
»Karte verloren?« kam es aus der Finsternis zurück; es klang, als sei nun für Steffen der Zeitpunkt gekommen, noch rasch seine Letzten Verfügungen zu treffen.
»He! Blasen Sie schon Trauermärsche?« rief Marion höhnisch. Das tolle Mädchen schien von dem Ernst der Lage völlig unbeeindruckt und unberührt zu sein.
»Es ist jetzt nicht an der Zeit, sich in Ironie zu ergehen!« versuchte der Alte Herr mit Strenge hervorzubringen. Aber die Zähne klapperten ihm zu sehr, und die Stimme war ihm eingefroren.
Unverkennbar war schon aus den Bruchstücken der Worte, die an Marions Ohr drangen, herauszuhören, daß seine Satzstellung im Angesicht des nahen Endes einer gewissen monumentalen Würde nicht entbehrte.
»Es ist jetzt an der Zeit, aufzupassen und vorwärts zu kommen!« schrie sie ihm zu. Und es lag ihr eine Menge bitterer und böser Worte auf der Zunge: Da habt ihr eure gegrillten Hähnchen! Und eure Schleie in Dill! Und die Scheiben von der Hammelkeule in jungen Erbsen! Und den Burgunderschinken! Und das Fläschchen Beaujolais! Und eure frischbezogenen Hotelbetten! Ihr könntet jetzt trocken und mollig warm im Schlaf sack liegen, das Zelt überm Kopf, die Gummimatratze unterm Allerwertesten, und den Regen auslachen. Aber nein, die Herren der Schöpfung kitzelte ja der Gaumen! Da aber kam auch schon der Stoß und das Gurgelgeräusch des Wassers, das von unten her durch einen Riß der Bootshaut an ihre Beine strudelte, kamen die Hilfeschreie des Alten Herrn und Thomas Steffens Jammerlaute.
4
Sie waren aufgefahren! Und zwar nach allen Regeln der Kunst. Und gleich doppelt aufgefahren. Marion auf einen Felsen oder auf einen heimtückischen Pfahl — wer wollte das in dieser ägyptischen Finsternis unterscheiden? —, und Steffen, der genau nach Marions Anweisung in voller Fahrt hinterdreinkam, hatte sich in den Zweier gebohrt, ihn gehoben und zum Kentern gebracht. Er war selber umgekippt, klammerte sich verzweifelt und in Todesangst an sein Boot — seiner Meinung nach an sein Boot, und irgendwo in der Dunkelheit stand der arme Herr Keyser bis an den Hals im Wasser und brüllte jammervoll um Hilfe.
»Land!« schrie Marion.
»Gerettet!« keuchte Thomas Steffen.
»Haben Sie Ihr Boot?« fragte Marion.
»Jawohl, ich ziehe es bereits an Land!« antwortete er.
»Nein, Sie zerren an unserm Boot!« schrie Marion.
»Aber nein doch, an meinem!« antwortete Steffen.
»Unsinn!« schrie Marion ihn an. »Sie zerren an meinem Boot! «
Und jetzt merkte er es selber.
»Dann ist meins — mit allen Sachen...«, brüllte Steffen voller Entsetzen.
»... hin, verloren, abgetrieben und abgesoffen!« stellte Marion kaltblütig fest.
Jawohl, so war es. Thomas Steffen hatte das falsche Boot erwischt, und der Himmel allein mochte wissen, wo in diesem Augenblick sein Einerkajak einsam und verlassen und vielleicht bereits als Unterseeboot dahintrieb.
»Anzug — Uhr — Fotoapparat — Geld...«, stammelte Herr Steffen wie vor den Kopf geschlagen, und ein Blitz, dem ein betäubender Donnerschlag folgte, zeigte, daß er nur mit einem Halstuch und mit einer Dreiecksbadehose bekleidet war.
»Auch mein Anzug!« röchelte Herr Keyser irgendwo im Hintergrund.
»Himmel, auch Ihr Anzug und Ihr Geld!« stöhnte Thomas Halstuch und mit einer Dreiecksbadehose bekleidet war.
Sein Gesicht aber, mit dem er dem
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