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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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mich verstanden? Ich gehe, und wenn ich durch Nacht und Regen zehn Kilometer marschieren müßte! Irgendwo werde ich auf ein Bahngeleise stoßen und irgendwo auf ein Stationsgebäude oder auf einen Dorfgasthof.«
    »Gehen Sie in Gottes Namen, Alter Herr!« unterbrach Michael die Drohungen von Herrn Keyser. »Sie haben es bis zur nächsten Bahnstation nicht einmal allzu weit. Drei Kilometer, schätze ich. Aber ich mache Sie als Mensch und als Christ darauf aufmerksam, daß die Donau hier zu beiden Seiten gut ihre acht Meter tief ist!«
    »W-w-was heißt d-d-das?« stotterte Herr Keyser.
    Marion war schneller von Begriff.
    »Eine Insel?« rief sie, und es klang fast frohlockend, es klang, als hätte sie auf ihrem Geburtstagstisch soeben erst die Hauptüberraschung entdeckt, ein Kleinod, in die Silbersee gefaßt...
    »Vierzig Meter Strom hüben und sechzig Meter drüben«, antwortete Michael mit entsprechenden Bewegungen des Kinns.
    Herr Keyser drückte, wie bei einem gräßlichen Anblick, die Fingerspitzen gegen die Augen und schien in sich zusammenzufallen.
    Herr Steffen aber lachte plötzlich, ganz hoch und schrill. Der Laut ähnelte dem kurzen, hellen Wiehern, das Pferde ausstoßen, kurz bevor sie mit weiß rollenden Augäpfeln durchgehen.
    Und es klang so gefährlich, daß Michael ihn sofort voll ableuchtete. Denn bekanntlich befindet sich in der Nähe von Donauwörth eine Landesirrenanstalt, und es konnte einem bei Steffens überreiztem Gelächter ohne weiteres der Gedanke durch den Kopf schießen, daß diese nächtliche Fahrt bei Sturm und Gewitter einer Flucht aus den dortigen Gummizellen verdammt gleichsah.
    Nach wenigen Schritten über stechende Steine erschien vor den Schiffbrüchigen im Lichtkegel der Lampe eine kleine Hütte.
    Herr Keyser stieß bei ihrem Anblick einen tiefen Seufzer aus. Gott, war das ein Hüttchen! Zu viert dort hinein? Unwillkürlich zog er den Bauch ein, wie in einem Menschengedränge. Andererseits aber tröstete es ihn doch, bald ein Dach über dem Kopf zu haben und damit vor der Kälte und vor der Unbill des Wetters geschützt zu sein. Und mit dieser Aussicht stieg auch sein gesunkener Lebensmut.
    »Ah, Sie sind wohl Fischer, guter Mann?« fragte er, da er ähnliche Hütten inmitten zum Trocknen aufgehängter Netze schon mehrfach an den Ufern oder auf einsamen Inseln gesehen hatte. Die glückliche Wendung des Schicksals, die es ihm erlaubte, weiterhin Direktor Keyser und Seniorchef und Herr der >Keyserschen Druckanstalt< zu sein, anstatt als Wasserleiche donauabwärts zu treiben, verlieh seinem Tonfall eine gewisse Leutseligkeit und die Jovialität eines Mannes, der sein Vergnügen stets bar bezahlt und sich bei Hilfeleistungen mit einem klingenden Händedruck erkenntlich zeigt. Allerdings stand dieser Ton in einem merkwürdigen Gegensatz zu seiner höchst mangelhaften Bekleidung.
    »Nein, ich bin Förster!« antwortete Michael grob. Die aufgespeicherte Wut, die er Barbara gegenüber zurückgedrängt hatte, um sie viel wirksamer mit der Wucht seiner schweigenden Verachtung zu strafen, suchte sich jetzt ein Ventil und entlud sich über seinen unerwarteten Gästen.
    »Na, na!« brummte Herr Keyser verletzt. »Man wird doch wohl noch fragen dürfen, wie?«
    Eine Sekunde später, als er Michael im hellerleuchteten Türrahmen stehen sah, hätte er diese herausfordernden kühnen Worte gern zurückgenommen. Der fünf Tage alte Bart gab Michael nämlich ein Aussehen, daß von der kleinen Gesellschaft, die noch immer im Regen draußen stand, Marion leicht aufschrie, Thomas Steffen instinktiv nach hinten in die Luft griff, als suche er nach einem Prügel, um sich zu wehren, während Marions Vater sich duckte — einfach das Genick einzog und sich duckte, als träfe ihn in der nächsten Sekunde ein Hieb.
    »Los! Kommen Sie endlich ‘rein!« kommandierte Michael und hielt die Tür fest, an der der Wind zerrte. Die Karbidlampe, die innen an der Decke hing, begann zu schaukeln und zu flackern und gespenstisch verzerrte Schatten an die Wände zu werfen.
    Marion trat zögernd einen Schritt näher. Ihr Vater aber machte eine Bewegung, als ob er sie aufhalten und zurückreißen wolle.
    In diesem Augenblick trat Barbara hinter einer Art von Vorhang hervor und in den Lichtkreis der Lampe.
    »Bitte, treten Sie doch näher!« sagte sie freundlich und mit einer einladenden Handbewegung.
    Diese unerwarteten Gäste hatte ein gütiges Schicksal hergesandt. Jetzt mußte Michael sich doch, ob er nun wollte oder

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