Die Leute mit dem Sonnenstich
jenem Unhold am Feuer vorstellte. »Wie leichtsinnig von Ihnen, mein Kind, allein zu reisen!«
Barbara nickte stumm und biß sich auf die Lippen.
»Ich heiße Marion Keyser«, sagte Marion und trat zu Barbara hin. Sie war ein wenig unsicher und wußte nicht, ob sie sich mit ihrer Vorstellung an Michael als an den augenscheinlichen Besitzer der Hütte oder an Barbara als zufällige Schicksalsgenossin wenden sollte. »Entschuldigen Sie, bitte, wir nehmen Ihre Gastfreundschaft in Anspruch, und Sie wissen nicht einmal, mit wem Sie es zu tun haben.« Ihre Hand beschrieb einen kleinen Halbkreis: »Hier ist mein Vater, Seniorchef und Inhaber der >Keyserschen Druckanstalt< — und dort steht Herr Steffen, der Geschäftspartner meines Vaters.« Sie reichte Barbara die Hand, und die Herren schickten sich an, es ihr gleichzutun.
»Ich heiße Barbara Hollstein.«
»Siehe da, Hols-tein«, sagte Herr Steffen mit einem blödsinnigen Lächeln, »ich stamme nämlich aus der Gegend.« Er schien tatsächlich den Verstand verloren zu haben, oder die Situation war so fürchterlich, daß er einen Anknüpfungspunkt für ein harmloses Gespräch suchte und es für richtig hielt, diesen notfalls an den Haaren herbeizuziehen.
»Ach, sehen Sie einmal an«, murmelte Barbara, »aber um es richtigzustellen, ich schreibe mich mit zwei l.«
Michael erhob sich langsam aus der Kniebeuge. Er sah sich Marion und ihren Vater flüchtig wie zwei völlig uninteressante verstaubte Museumsstücke an und pflanzte sich breitbeinig vor Thomas Steffen auf.
»So, so!« knurrte er. »Also Steffen aus Holstein mit zwei f! Ich möchte wahrhaftig wissen, weshalb ihr da oben euch als einzige nicht angewöhnen könnt, wie normale Menschen zu reden! Wozu, zum Teufel, sprecht ihr eigentlich?«
»Mein Herr!« begehrte Thomas Steffen empört auf und zog den Brustkasten voller Luft. Er war gewiß kein Freund von Handgreiflichkeiten, aber wenn dieser ungeschliffene Lümmel ihn beleidigen wollte, dann sollte er ihn kennenlernen!
»Prack!« sagte Michael kurz, und überließ es Herrn Steffen, mit diesen fünf Buchstaben etwas anzufangen. Und Steffen überlegte tatsächlich, ob es ein Name oder ein ihm noch unbekannter süddeutscher Kraftausdruck sei.
Der kleine Herr Keyser aber kämpfte mit heroischen Entschlüssen. Man konnte zum Beispiel diese Tür so kräftig von außen zuhauen, daß man unter Umständen die ganze Bretterbude zum Einsturz brachte. Es war die beste Tür für einen wirkungsvollen Abgang, vorausgesetzt natürlich, einem stand die nötige Muskelkraft zur Verfügung; leider sahen Herrn Keysers Oberarme trotz des achttägigen Rudertrainings noch recht dünn aus. Und außerdem ließ es sich nicht ableugnen, daß der Regen wie ein Trommelwirbel aufs Dach prasselte, daß das Boot einen ellenlangen Riß in seiner Haut hatte und daß es auch nur zwei Personen Platz bot, um diese schreckliche Insel zu verlassen. Man konnte aber Steffen hier schließlich nicht allein zurücklassen.
»Sie waren bis jetzt so freundlich zu uns, mein Herr«, sagte Marion mit der Sanftmut, mit der man sich in einem Tigerkäfig bewegt, um die Bestien nicht zu reizen. »Wir glaubten, daß Sie uns gern für ein paar Stunden Unterschlupf gewähren würden. Aber nun scheint es fast so, als ob wir Sie störten?«
Steffen deutete mit dem Kinn auf Barbara hin, sah seinen Seniorpartner Keyser vielsagend an und stieß einen kurzen, höhnischen Kehllaut aus. »Kchchchch!«
»Selbstverständlich wollen wir Sie nicht lange belästigen«, fuhr Marion mit einem betörenden Lächeln fort; »wenn Sie erlauben, möchten wir uns nur ein wenig wärmen. Sie sehen es ja, mein Vater und Herr Steffen haben ihre Anzüge verloren. Zum Glück habe ich wenigstens die Zelte gerettet, und wir werden sie sofort draußen aufschlagen, wenn der Regen ein wenig nachläßt.«
Herr Keyser begann zu zittern, und bei dem Gedanken, heute noch hinaus zu müssen, um im Zelt zu nächtigen, wankten ihm die Knie. Wir wollen nicht vergessen, daß er zwar ein Mann in den besten Jahren war — mit achtundfünfzig Lenzen war er aber über die wirklich guten doch schon ein ganzes Ende hinaus.
»Wie sonderbar du sprichst, Marion«, ächzte er mit einem völlig mißlingenden Versuch, ein heiteres und unbekümmertes Gesicht zu zeigen, »unser liebenswürdiger Wirt denkt doch gar nicht daran, uns in Wind und Wetter hinauszujagen!«
Das war reichlich kühn gesprochen, denn der »liebenswürdige Wirt< sah ganz so aus, als ob ihm
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